37 Magenkarzinom
J.R. Siewert, A. Sendler, F. Lordick
37.1 Grundlagen – 446
37.1.1 Chirurgische Epidemiologie – 446
37.1.2 Onkogenese – 447
37.1.3 Pathologie und Klassifikationen – 451
37.1.4 Prognosefaktoren – 454
37.2 Klinische Symptomatologie – 456
37.3 Notwendige Diagnostik und Staging – 456
37.3.1 Staging – 456
37.4 Operative Therapie – 459
37.4.1 Therapieziele – 459
37.4.2 Indikationsstellung – 460
37.4.3 Chirurgische Strategien – 460
37.5 Operationstechnik – 463
37.5.1 Lymphadenektomie – 463
37.5.2 Pankreaslinksresektion und Splenektomie – 466
37.5.3 Subtotale Gastrektomie – 466
37.5.4 Totale Gastrektomie – 468
37.5.5 Erweiterte Gastrektomie – 468
37.6 Morbidität und Mortalität – 469
37.6.1 Frühkomplikationen – 469
37.6.2 Spätkomplikationen – 470
37.7 Ergebnisse der Chirurgie – 471
37.8 Neoadjuvante Therapie bzw. adjuvante und palliative
Therapie prinzipien – 471
37.8.1 Postoperative adjuvante Therapieverfahren – 471
37.8.2 Adjuvante Chemotherapie – 472
37.8.3 Adjuvante Radio-/Chemo/Therapie – 472
37.8.4 Intraoperative Strahlentherapie – 472
37.8.5 Postoperative, intraperitoneale Therapie – 473
37.8.6 Präoperative neoadjuvante Chemotherapie – 473
37.8.7 Palliative Chemotherapie – 475
37.9 Empfehlungen zur Nachsorge – 475
37.10 Ausblick – 476
Literatur – 477
446 Kapitel 37 · Magenkarzinom
37
Die Zeiten, in denen die Diagnose »Magenkarzinom« gleichbedeutend
mit einer Operation war, sind vorbei. Heutzutage ermöglicht
die moderne Diagnostik eine genaue Erfassung der individuellen
Tumorsituation jedes Patienten. Dies ermöglicht eine
maßgeschneiderte Therapie. Nur dadurch ist es möglich, für Subgruppen
von Patienten die Prognose nachhaltig zu verbessern.
Der Chirurgie kommt unverändert eine Schlüsselrolle bei der
Therapie des Magenkarzinoms zu: Der Chirurg ist häufig der
erste Ansprechpartner nach Diagnosestellung. Nur durch genaue
Kenntnis der sich wandelnden Epidemiologie – die auch die Resektion
operativ anspruchsvoller macht –, der Onkogenese, der
operativen und therapeutischen Grundlagen kann eine sinnvolle,
stadienabhängige Indikation verantwortlich gestellt werden. Die
operative Bandbreite reicht von endoskopisch-laparoskopisch
kombinierten Eingriffen bis hin zu multiviszeralen Resektionen.
Bei den lokal fortgeschrittenen Stadien kommen zunehmend
multimodale Strategien zum Einsatz; gerade beim Einsatz neoadjuvanter
Therapien ist dazu die Vorstellung der Patienten in
einem Tumorboard erforderlich. Die moderne Onkologie verlangt
vom Chirurgen, neue Wege in der interdisziplinären Therapie
zu begehen. Das Magenkarzinom ist ein schon klassisches
Beispiel, wie durch fortgesetzte Innovation und interdisziplinäre
Therapie die Prognose der Patienten nachhaltig verbessert werden
kann.
37.1 Grundlagen
37.1.1 Chirurgische Epidemiologie
Trotz weltweit sinkender Prävalenz ist das Adenokarzinom
des Magens nach wie vor von hoher klinischer Bedeutung. In
Deutschland erkrankten im Jahre 2000 geschätzt 21.000 Personen
(11.000 Männer, 10.000 Frauen) an einem Magenkarzinom.
Es ist die fünfthäufigste Tumorerkrankung bei Frauen
und die sechshäufigste bei Männern und gehört mit zu den häufigsten
tumorbedingten Todesursachen. Das mittlere Erkrankungsalter
liegt für Männer bei 68, für Frauen bei 74 Jahren,
bei beiden Geschlechtern steigt die Inzidenz mit fortschreitendem
Alter (Robert-Koch-Institut 2004). Seit 1930 sinkt die Inzidenz
des Magenkarzinoms, zwischen 1980 und 1999 in der Europäischen
Union um 45%, seit den 90er-Jahren bestehen jedoch
in Deutschland eine gleich hohe Erkrankungshäufigkeit.
Der internationale Rückgang der Inzidenz ist nicht das Ergebnis
neuerer Therapien, sondern beruht wohl v. a. auf der besseren
Konservierung von Speisen und besserer Ernährung (Levi et al.
2004).
Die Inzidenz des Magenkarzinoms ist am höchsten in
Japan, Südamerika, Osteuropa und Teilen des Mittleren Ostens.
In den meisten Ländern erreicht die Mortalität die Inzidenz.
Die einzige Ausnahme hiervon bildet Japan, das trotz des endemischen
Auftretens der Erkrankung während der vergangenen
25 Jahre ein Sinken der Mortalitätsrate verzeichnen konnte.
Hauptgrund dafür ist die Durchführung von endoskopischen
Massenunter suchungen seit Mitte der 60er-Jahre, durch die
hohe Inzidenz ist dieses Screeningverfahren in Japan kosteneffektiv.
Die Analyse von Migrationsbewegungen von Gebieten mit
hoher zu Gebieten mit niedriger Inzidenz hat Umwelteinflüsse
für die Entstehung des Magenkarzinoms wahrscheinlich gemacht.
Bei japanischen Emigranten, die von Präfekturen mit höchstem
Risiko nach Hawaii umsiedelten, persistierte das Risiko. Dieses
hohe Risiko wurde ebenfalls in der zweiten Generation dieser
Emigranten beobachtet, wenn sie sich weiterhin traditionell japanisch
ernährten. Falls jedoch westliche Ernährungsgewohn heiten
angenommen wurden, sank die Inzidenz deutlich. Diese Studie
belegt, dass einerseits Umwelteinflüsse im frühen Leben essentiell
sind für die Erhöhung des Risikos, dass aber andererseits
auch kontinuierliche Umwelteinflüsse die Prädisposition erhöhen
(Boeing 1991; Correa 1985).
Gleichzeitig mit dem Rückgang des Magenkarzinoms hat
sich die Lokalisation der Tumoren geändert. War das Magenkarzinom
in früheren Jahren vor allen im distalen Magen zu finden,
findet es sich nun mehr und mehr im
proximalen Magen und am
gastroösophagealen Übergang (Siewert et al. 1995a; Siewert u.
Stein 1998). Diese Zunahme ist von klinischer Bedeutung, da
diese Tumoren meist in einem weiter fortgeschrittenen Stadium
diagnostiziert werden. Der Anteil der proximalen Magenkarzinome
und von Adenokarzinomen der Kardia stieg von 1984–
1993 von 29,1 auf 52,2% (Hohenberger u. Gretschel 2003). Diese
relative Steigerung ist größer als die relative Zunahme des Lungenkarzinoms
oder des Melanoms. Diese Tumoren müssen von
den Adenokarzinomen des distalen Ösophagus in Genese und
histologischem Subtyp unterschieden werden. Nur eine kleine
Gruppe von ihnen wird anscheinend durch die Refluxkrankheit
ausgelöst, eine Fundoplicatio stellt somit keinen Schutz dar (Ye et
al. 2001). Über die Gründe dieser Zunahme kann bis heute nur
spekuliert werden. Sie beruht u. U. auf einer besseren Konservierung
der Speisen und/oder dem Sinken der Inzidenz der Helicobacter-
pylori-Infektion. Studien belegen, dass die H.-pylori-
Kolonisation nur selten mit dem Adenokarzinom der Kardia
vergesellschaftet ist,
sie wird vermehrt beim Adenokarzinom des
distalen Magens gefunden (McColl 1997).
Ferner existiert eine Korrelation zwischen der Lokalisation
eines Tumors und der Klassifikation nach Laurén. Während
ungefähr 50% aller Antrum- oder Korpuskarzinome intestinale
Typen nach der Laurén-Klassifikation sind, repräsentiert dieser
Typ des Magenkarzinoms nur 36% der proximalen Magenkarzinome,
aber bis zu 68% der Kardiakarzinome und fast 80% der
Adenokarzinome des distalen Ösophagus. Diese deutliche Zunahme
der intestinalen Karzinome könnte bedeuten, dass v. a.
Umweltfaktoren für die Zunahme der proximalen Magenkarzinome
verantwortlich sind.
Die Therapie des Magenkarzinoms hat sich in den letzten
Jahren immer mehr differenziert und spezialisiert. Der alleinige
operative Ansatz ist nicht mehr in jedem Tumorstadium zu rechtfertigen.
Es ist heutzutage anzustreben, für jeden Patienten ein
individuelles therapeutisches Konzept zu entwerfen. In den kommenden
Jahren können Fortentwicklungen in der Therapie der
meist lokal fortgeschrittenen Tumoren nur durch interdisziplinäre
Kooperationen erreicht werden. In diesem Zusammenhang
spielt die Chirurgie eine entscheidende Rolle: als initialer Partner
des betroffenen Patienten und damit als »Koordinator« für die
verschiedenen therapeutischen Optionen.
Die wichtigsten Fortschritte sind in den letzten Jahren erzielt
worden auf den Gebieten des prätherapeutischen Stagings, der
Identifikation von relevanten prognostischen Faktoren und neuer
multimodaler Techniken. Dadurch wird es möglich, die Therapie
für den Patienten individuell »zuzuschneidern« (»tailored therapy
«). Es ist zu hoffen, dass die Kombination von neoadjuvanten,
37.1 · Grundlagen 447 37
adjuvanten oder auch additiven Therapiemodalitäten zu einer
besseren Prognose führt (verglichen mit dem traditionellen, rein
operativen Zugang). Das genaue Wissen um die verschiedenen
Optionen, ihre Ergebnisse, Vorteile, Nachteile und Komplikationen
sowie die Ergebnisse neuerer Studien über neoadjuvante und
adjuvante Verfahren sind somit bei der Behandlung des Magenkarzinoms
von besonderer Bedeutung.
37.1.2 Onkogenese
Verschiedene Veränderungen der Magenmukosa sind mit einem
erhöhten Risiko für die Entwicklung eines Adenokarzinoms
des Magens vergesellschaftet ( s. unten). Dazu gehören die chronisch
atrophische Gastritis, die intestinale Metaplasie, die Dysplasie
und Magenpolypen.
Risikofaktoren für die Entwicklung eines Magenkarzinoms
Ernährung:
– geringe Fett- oder Proteinaufnahme,
– gepökeltes und geräuchertes Fleisch,
– hoher Nitratverbrauch,
– Mangel an Vitamin A und C;
Umweltfaktoren:
– Mangel an Kühlmöglichkeiten,
– schlechte Wasserqualität,
– Beruf (Minen- und Gummiarbeiter),
– Rauchen;
Präkanzerosen:
– Magenadenome,
– chronische atrophische Gastritis und intestinale
Meta plasie,
– perniziöse Anämie,
– vorausgegangene Magenchirurgie wegen benigner
Erkrankungen (BI, BII),
– hereditäres nichtpolypöses kolorektales Karzinom
(HNPPC), familiäre Polyposis, Gardner-Syndrom,
– Peutz-Jegher-Syndrom,
– M. Ménétrier,
– positive Familienanamnese.
Zum besseren Verständnis der Ätiologie und Epidemiologie des
Magenkarzinoms ist die Kenntnis der Klassifikation nach Laurén
wichtig: 1965 beschrieb Laurén zwei verschiedene histologische
Typen des Magenkarzinoms, den intestinalen und den diffusen
(Laurén 1965).
Der intestinale Typ des Magenkarzinoms entsteht v. a. aus
präkanzerösen Arealen wie aus der Magenatrophie oder der intestinalen
Metaplasie. Er ist öfter bei Männern und in der älteren
Generation anzutreffen. Der intestinale Typ repräsentiert den
vorherrschenden histologischen Typ in endemischen Gebieten.
Der diffuse Typ entsteht typischerweise nicht auf dem Boden
von präkanzerösen Läsionen, er tritt etwas häufiger bei Frauen
und bei jungen Patienten auf und hat eine höhere Assoziation mit
dem familiären Auftreten. Dieses legt eine genetischen Prädisposition
nahe.
Atrophische Gastritis und perniziöse Anämie
Die atrophische Gastritis wird in zwei Hauptgruppen eingeordnet:
▬ der autoimmune Typ A, welcher mit der Perniziosa assoziiert
ist, und
▬ der Typ B, welcher durch Umwelteinflüsse bedingt ist.
Die Veränderungen der Typ-A-Gastritis spielen sich im Fundus
und Magenkorpus ab und werden auch bei Patienten gefunden,
die an einer okkulten Perniziosa leiden. Die Karzinome, die sich
in Verbindung mit dem Typ A entwickeln, werden ebenfalls im
Korpus und Fundus angetroffen (Correa 1988).
Die Gastritis Typ B, die am häufigsten in Gebieten mit hoher
Inzidenz des Magenkarzinoms diagnostiziert wird, ist eine multifokale
Erkrankung. Sie beginnt meistens an der Incisura und befällt
Antrum und Korpus.
Bei beiden Typen der Gastritis regeneriert
sich das Epithel, die Mukosa aber unterliegt einer fortlaufenden
Atrophie und wird teilweise durch intestinalartiges Epithel
ersetzt; dieses kann über den Weg der Dysplasie zur Malignität
entarten. Das Risiko der Entwicklung eines Magenkarzinoms bei
Vorhandensein einer chronischen Gastritis liegt bei 10% über
10 Jahre (Albert 1995).
Verschiedene Langzeitanalysen bei Patienten mit perniziöser
Anämie haben eine 1- bis 10%ige Inzidenz des Magenkarzinoms
bei dieser Erkrankung gezeigt (Fuchs u. Mayer 1995; Ye u. Nyren
2003). Das Risiko der Karzinomentstehung ist direkt proportional
zur Schwere der Gastritis und betrifft praktisch nur die Form
des intestinalen Karzinoms. Die diskutierten Mechanismen sind
einerseits bakterielle Überwachsungen im achlorhydrischen Magen,
interne pH-Verschiebungen (Hypergastrinämie als Folge der
Atrophie) und das neoplastische Potenzial proliferierender Zellen
in der Nähe einer chronischen Entzündung (gesteigerte DNASyntheserate).
Das Risiko der Malignomentstehung bei Patienten
mit Perniziosa ist ungefähr 4- bis 6fach höher als das der Normalpopulation.
Das Risiko ist am höchsten in jüngeren Altersgruppen,
in der Altersgruppe über 70 Jahre gleicht es dem Risiko der
Allgemeinbevölkerung.
Diese Patienten haben ebenfalls ein erhöhtes Risiko der
Entwicklung von neuroendokrinen Tumoren des Magens. Diese
könnten sekundär bei verlängerter Säuresuppression, Hypergastrinämie
und darauf folgender neuroendokriner Hyperplasie
entstehen (Antonioli 1990). Nach diesen Befunden ist die Frage
aufgeworfen worden, ob die endokrine Achlorhydrie des Magens,
induziert durch Histaminrezeptor-Antagonisten (H2-Blocker)
und Protonenpumpen-Inihibitoren ebenfalls zu einem erhöhten
Risiko führt. Bis heute hat jedoch keine Studie ein erhöhtes
Tumorrisiko, auch nach Langzeiteinnahme, beweisen können
(Elder 1995).
Intestinale Metaplasie und Dysplasie
Abhängig von der Morphologie und der Muzinhistochemie wird
die intestinale Metaplasie histopathologisch in drei Gruppen eingeteilt:
▬ Typ 1 zeigt reife absorptive Zellen und neutrale Muzine,
▬ Typ 2 keine reifen absorptiven Zellen, jedoch Muzine und
neutrale Muzine,
▬ bei Typ 3 ist die Morphologie ähnlich der beim Typ 2, die
Muzine sind jedoch sulphiert.
Ausgehend von retrospektiven Daten scheint die Typ-3-Metaplasie
das höchste Risiko für eine malignen Transformation zu
beinhalten. Das relative Risiko der Karzinomentstehung innerhalb
der drei Gruppen der intestinalen Metaplasie ist noch nicht
evaluiert.
Die Rolle der Magendysplasie in der Entwicklung des Magenkarzinoms
ist bis heute ungeklärt. In einer Studie mit 247 Magenkarzinomen,
die durch mehrere unabhängige Pathologen untersucht
wurden, wurde in 26 Fällen die Diagnose »Dysplasie« gestellt.
Es gab jedoch nur in drei Fällen eine Übereinstimmung
aller drei beurteilenden Pathologen. Die Ergebnisse einer prospektiven
Studie haben gezeigt, dass in einer Gruppe, die nach
unabhängiger Expertenmeinung eine high-grade intrepitheliale
Neoplasie zeigte, ein Magenkarzinom nach Resektion zu 80%
identifiziert wurde. In der Gruppe der low-grade intraepithelialen
Neoplasie wurde das Magenkarzinom in 20% der Fälle gefunden
(Schlemper et al. 1997).
Magenpolypen
Die Magenpolypen sind in zwei Hauptgruppen eingeteilt:
▬ hyperplastische, hyperregenerative Polypen und
▬ Adenome.
Hyperplastisch sind 75–90% der Magenpolypen, sie entstehen
nach exzessiver Regeneration des foveolaren Epithels mit keiner
klaren Grenze zwischen Polyp und normaler Magenmukosa.
Eine maligne Transformation ist äußerst selten (Goldstein u.
Lewin 1997), trotzdem wurde ein unabhängiges Magenkarzinom
in 6–25% der Fälle gesichert (Dijkhuizen et al. 1997).
Acht bis 25% der Magenpolypen sind Adenome. Sie haben
einen klar abgrenzbaren Rand zu der umgebenen Mukosa und
sind oft assoziiert mit einer intestinalen Metaplasie und verstärkten
Mitoseraten (Stolte 1995). Sie zeigen oft ein kontinuierliches
Wachstum. Das Auftreten kann flach, papillär oder villös sein.
Maligne Transformationen kommen in 6–75% der Fälle vor,
seltener bei kleinen, flachen Adenomen, weitaus häufiger bei
Adenomen >2 cm Durchmesser (Takenawa et al. 2004).
Magenstumpfkarzinom
Im Jahr 1922 wurde von dem Chirurgen Balfour die Beobachtung
gemacht, dass es einen Zusammenhang zwischen der Entwicklung
eines Magenkarzinoms und einer vorangegangenen distalen
Gastrektomie wegen einer benignen Erkrankungen gibt (Balfour
1922). Definitionsgemäß entsteht ein sog. Magenstumpfkarzinom
im zurückbelassenen Magen nicht früher als 5 Jahre nach der partiellen
Gastrektomie. In einer Studie wurde über die Nachbeobachtung
von 4466 Patienten berichtet, die 20 Jahre zuvor wegen
Ulcera ventriculi bzw. duodeni distal reseziert wurden (Caygill et
al. 1986). Es ergab sich ein 3,7fach erhöhtes Risiko nach Magenresektion
und ein 8% erhöhtes Risiko nach gleichzeitiger Vagotomie.
Das Risiko ist höher nach Billroth-II- als nach Billroth-I-Operation
(8,6- vs. 4fach erhöht). Das erhöhte Risiko scheint das Ergebnis
einer sich schnell ausbreitenden intestinalen Metaplasie von
der gastrointestinalen Anastomose in den Magen stumpf zu sein.
Nach Restgastrektomie und adäquater Lymphadenektomie (regionale
Lymphknoten im Mesenterium der zuführenden Schlinge!)
ist die Prognose dieser Patienten denen mit primärer Magenresektion
identisch (Thorban et al. 2000).
M. Ménétrier
Der M. Ménétrier ist eine seltene Krankheit, bei welcher Magenfaltenhypertrophie,
Hyperchlorhydrie und ein Proteinverlust mit
einer Hyperplasie der oberflächlichen Becherzellen des Magens
assoziiert sind (Albert 1995). Ein Magenkarzinom wurde in 15%
der bis heute ca. 200 beschriebenen Fälle gefunden (Elder 1995).
Dieses legt nahe, dass der M. Ménétrier eine Präkanzerose ist,
jedoch sind die Studien schwer zu interpretieren, da sie retrospektiv
sind und viele Einzelfälle darstellen. Es gibt jedoch verschiedene
sehr gut dokumentierte Fälle von Dysplasie, Adenom
und Karzinomentwicklung bei Patienten mit M. Ménétrier innerhalb
von 13 Jahren.
Cave
Bei Vorliegen eines M. Ménétrier ist die jährliche endoskopische
Kontrolle empfohlen.
Helicobacter pylori
Durch mehrere epidemiologische Studien ist eine Beziehung
zwischen der Besiedlung des Magens mit H. pylori und der Entwicklung
eines Magenkarzinoms demonstriert worden. Eine Studie
mit mehr als 3000 Patienten aus 13 Ländern zeigte ein 6fach
erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Magenkarzinoms in
Populationen mit einer hohen Infektionsrate (Goldstone et al.
1996). Dieses wurde durch eine Metaanalyse (19 Studien, 2491
Patienten, 3949 Kontrollen) bestätigt. Die Heterogenität der
zuvor publizierten Ergebnisse wird erklärt durch Unterschiede
in der Auswahl der Kontrollgruppen, im Patientenalter sowie
in Tumorlokalisation und -stadium. Nach dieser Studie ist die
H.-pylori-Infektion eine Risikofaktor für das Magenkarzinom
(Huang et al. 1998). Die Inzidenz der H.-pylori-Infektion bei den
Kontrollgruppen der zitierten Studien lag zwischen 61 und 76%.
Damit entwickelt die Majorität kein Karzinom nach Infektion.
Wichtig für die Karzinomentstehung sind wohl zwei Mechanismen:
ein Interleukin-1-Polymorphismus beim Wirt und die
Infektion mit unterschiedlichen Stämmen des H. pylori (El Omar
et al. 2001; Hocker u. Hohenberger 2003). Die Rolle des Bakteriums
bei der Karzinogenese könnte in einer Erhöhung der Proliferationsrate
des Magenepithels liegen. Andere Gründe sind in
der Abnahme der Sekretion von Ascorbinsäure, einem bekannten
chemoprotektiven Agens, oder der Induzierung einer lang
andauernden inflammatorischen Immunantwort zu sehen. Inflammatorische
Zellen werden oft in direkter Nachbarschaft zu
proliferierenden Zellen gefunden und exprimieren mutierte p53-
Produkte (Falk 1996). Bis heute ist die Rolle der Helicobacter spp.
in der Karzinogenese unklar. Eine Eradikationstherapie für alle
H.-pylori-Träger wird als nicht kosteneffektiv betrachtet und derzeit
nicht empfohlen.
Nach Resektionen beim Magenkarzinom fand sich eine Besiedlung
mit H. pylori beim intestinalen Typ nach Laurén in 90%
des Normalgewebes verglichen mit nur 32% beim diffusem Karzinomtyp.
Verschiedene Studien haben ferner eine signifikante
Beziehung der H.-pylori-Infektion und der Entwicklung des distalen
Magenkarzinoms aufgezeigt. Das Risiko der Karzinomentstehung
korreliert mit steigenden H.-pylori-IgG-Antikörpern
und ist höher, wenn zwischen Diagnose der Infektion und der
des Karzinoms mehr als 10 Jahre liegen (Suerbaum u. Michetti
2002).
Populationsstudien deuten darauf hin, dass eine in der Kindheit
akquirierte H.-pylori-Infektion zu einer chronischen Gastritis
führt. Diese persistiert für Jahrzehnte und führt in einigen
Fällen weiter zur atrophischen Gastritis, zu intestinalen Metaplasie
und/oder Dysplasie. In unterentwickelten Ländern sind bis zu
50% der Kinder im Alter von 10 Jahren bereits mit H. pylori infi37.1
· Grundlagen 449 37
ziert. Daran gemessen ist die Karzinomentstehung relativ gering,
was u. a. auch auf die geringere Lebenserwartung in der Ländern
der Dritten Welt zurückgeführt wird. In entwickelten Ländern
sind die Infektionsraten der Adoleszenten weit geringer, jedoch
sind
bis zu 50% der Erwachsenen im Alter von 60 Jahren infiziert
(Moayyedi u. Dixon 1997; Nightingale u. Gruber 1994).
Angehörigen von Patienten, die an einem Magenkarzinom
erkrankt waren, haben ebenfalls ein höheres Risiko für die Entwicklung
von gastralen Präkanzerosen. Das erhöhte Risiko ist
jedoch auf eine Gruppe beschränkt, die wie die Eltern H.-pyloripositiv
sind. Die familiäre Prädisposition zum Magenkarzinomen
wird damit teilweise auf eine familiäre Häufung der H.-pylori-
Infektion zurückgeführt. Daraus ergibt sich die Empfehlung,
Angehörige bei H.-pylori-Infektion ebenfalls einer Eradikationstherapie
zu unterziehen (El Omar et al. 2000).
Genetische Prädisposition
Eine genetische Prädisposition wird für 4–8% aller Magenkarzinome
angenommen. Bisher ist nur die Mutation des E-Cadherin-
Gens (cdh-1) als prädisponierender Faktor für die Ausbildung des
diffusen Magenkarzinoms identifiziert worden. Dabei sind 18
verschiedene Keimbahnmutationen des cdh-1-Gens beschrieben
(Park et al. 2000). Die Keimbahnmutation des cdh-1-Gens definiert
ein autosomal-dominantes Karzinomsyndrom, das als
»hereditäres diffuses Magenkarzinom« bezeichnet wird. Typisch
für dieses Syndrom ist ein junges Manifestationsalter. Das »International
Gastric Cancer Linkage Consortium« verfügt z. Z. über
eine Dokumentation von 9 Familien mit 70 Magenkarzinomerkrankungen
im Alter zwischen 14 und 69 Jahren (mittleres Manifestationsalter
37,9 Jahre). Erste Schätzungen zeigen eine Penetranz
von 70–80% über 80 Lebensjahre (Guilford et al. 1999;
Keller et al. 1999).
Cave
Identifizierte Mutationsträger (cdh-1) sollten halbjährlich
endoskopisch untersucht werden, eine eventuelle H.-pylori-
Infektion muss eradiziert werden.
Falls ein Karzinom gesichert wird, ist die totale Gastrektomie indiziert.
Die Indikation zur prophylaktischen Gastrektomie wird
derzeit noch kontrovers diskutiert. Für die intestinale Form des
Magenkarzinoms sind entsprechende prädisponierenden Keimbahnmutationen
bisher nicht identifiziert worden.
Das HNPCC-Syndrom prädisponiert nicht nur zum Kolonkarzinom,
vereinzelt auch zum Magenkarzinom. Das mittlere
Manifestationsalter beträgt ca. 55 Jahre beim Magenkarzinom,
das Kolonkarzinom tritt im Mittel ca. 10 Jahre früher auf. Histologisch
handelt es sich meistens um Magenkarzinome vom intestinalen
Typ. Wie die Kolonkarzinome zeigen auch die Magenkarzinome
eine Mikrosatelliteninstabilität auf der Grundlage
einer Keimbahnmutation in den DNA-Reparaturgenen mlh1
oder msh2 (Ponz de Leon 1994).
Selten finden sich Magenkarzinomerkrankungen in Familien
mit FAP, Peutz-Jeghers- und Li-Fraumeni-Syndrom, für die jeweils
Keimbahnmutationen im apc-, stk11- und p53-Gen beschrieben
sind (Caldas et al. 1999).
Ein historisches Beispiel für eine genetische Prädisposition
zum Magenkarzinom ist die Familie von Napoleon Bonaparte:
Napoleon, sein Vater, sein Großvater und mehrere Geschwister
starben an Magenkrebs.
Molekularbiologische Veränderungen
beim Magenkarzinom
Maligne Tumoren entstehen schrittweise durch Akkumulation
verschiedener genetischer Veränderungen. Diese betreffen gezielt
Gene, die Schlüsselrollen in wichtigen Prozessen wie Zellzyklus
und -differenzierung besetzten. Deren verändertes Zusammenspiel
erklärt den malignen Charakter einer Tumorzelle.
Einen weiteren Mechanismus der malignen Entartung stellt die
genomische Instabilität dar, die durch Mutationen in Reparaturgenen
verursacht wird. Nachweisbare Zeichen solcher Defekte
sind Längenalterationen in kurzen, sich wiederholenden Sequenzen,
den sog. Mikrosatelliten.
Insbesondere die zeitliche Abfolge der einzelnen zu Karzinomen
führenden Aberrationen ist weitgehend unklar, und obwohl
bereits viele der das Magenkarzinom betreffende Onkogene und
Tumorsuppressor-Gene charakterisiert worden sind (⊡ Tabelle
37.1), haben diese Erkenntnisse bis heute nicht zu einer Änderung
der Behandlung oder zur Entwicklung neuer Therapiestrategien
geführt. Es zeichnet sich jedoch ab, das die Entwicklung
von diffusen und intestinalen Magenkarzinomen über unterschiedliche
Wege erfolgt (Höfler u. Becker 2003). ⊡ Abb. 37.1
zeigt den immer noch aktuellen Vorschlag der Gruppe von Tahara
et al. (1995) zur molekularen Pathogenese beider Tumortypen.
Proto-Onkogene
Das met-Gen ist beim fortgeschrittenen Magenkarzinom – v. a.
beim szirrhösen Typ – häufig amplifiziert. LOH (»loss of heterozygosity
«) des met-Gens, lokalisiert auf dem Chromosom 7q31,
findet sich bei 30% der intestinalen Karzinome unabhängig von
einer eventuellen met-Amplifikation. Gleichzeitig ist das k-sam-
Gen, ein Mitglied der Familie der Fibroblasten-Wachtstumsfaktor-
Rezeptoren, v. a. bei diffusen Magenkarzinomen amplifiziert
(Tahara et al. 1996).
Im Gegensatz dazu findet sich eine Amplifikation und Überexpression
von erbb2 v. a. beim intestinalen Adenokarzinom. Die
prognostische Relevanz einer Aktivierung des erbb2-Onkogen
beim Magenkarzinom wurde in einer Reihe von größeren Studien
untersucht. Danach scheint der Expressionsstatus zwar teilweise
mit etablierten histopathologischen Tumorparametern zu
korrelieren, insgesamt kann das erbb2-Onkogen jedoch als unabhängiger
prognostischer Faktor angesehen werden (Kopp et al.
2003).
Wachstumsfaktoren und Zytokine
Magenkarzinome exprimieren ein breites Spektrum von Wachstumsfaktoren
und Zytokinen, die als autokrine oder parakrine
Modulatoren agieren. Durch sie wird die komplexe Interaktion
zwischen Tumor- und Gewebezelle gesteuert. TGF-α, EGF und
Interleukin(IL)-1a funktionieren als autokrine Wachstumsfaktoren.
Die Faktoren werden v. a. beim intestinalen Typ überexprimiert
(Ito et al. 1993).
PDGF (»platelet derived growth factor«) und TGF-α werden
v. a. beim diffusen Karzinom überexprimiert: 80% der Magenkarzinome
zeigen eine Verminderung des TGF-α-Typ-I-Rezeptor
und eine Verminderung des TGF-α-Bindungsproteins. Es
findet sich eine Korrelation mit dem Tumorstadium, was bedeuten
könnte, dass sich fortgeschrittene Karzinome durch diesen
Mechanismus einer Wachstumskontrolle entziehen (Xiangming
et al. 2001).
450 Kapitel 37 · Magenkarzinom
37
Tumorsuppressor-Gene und Zelladhäsionsmoleküle
Beim Magenkarzinom findet sich häufig eine Inaktivierung von
verschiedenen Tumorsuppressor-Genen wie p53, apc und dcc
(Nakatsuru et al. 1992). Allelverlust und Mutationen des apc-
Gens sind v. a. mit dem intestinalen Adenokarzinom assoziiert.
Beim intestinalen Karzinom findet sich zusätzlich ein LOH des
dcc-Gens und des bcl2-Gens (Tahara 1995). Dieses ist vergleichbar
mit der Kanzerogenese des kolorektalen Karzinoms und findet
sich nicht bei diffusen Karzinomen.
Die umfassendsten Daten liegen für das Tumorsuppressor-
Gen p53 vor. Allelverlust und Mutationen von p53 finden sich
in mehr als 60% sowohl der diffusen als auch der intestinalen
Magenkarzinome. Diese Mutation wird gleichzeitig in 30%
der Magenadenome und in 10% der Fälle von intestinaler Metaplasie
beschrieben. Die Veränderung von p53 scheinen relativ
spät in der Karzinomentstehung aufzutauchen, in hochgradigen
Dysplasien der Magenschleimhaut sind sie kaum nachweisbar.
Sowohl der intestinale als auch der diffuse Karzinomtyp
ist betroffen, wobei zumindest immunhistochemisch eine
p53-Akkumulation im intestinalen Typ häufiger beobachtet
wird. Die p53-Expres sion scheint mit zunehmender Wandinfiltration
zuzunehmen. Über die Korrelation von p53-Mutationen
und Prognose gibt es keine schlüssigen Daten, die Studien
widersprechen sich diametral (Fenoglio-Preiser et al.
2003).
Ein weiteres nur bei diffusen Karzinomen verändertes Genprodukt
ist E-Cadherin, das für ein kalziumabhängiges Zelladhäsionsmolekül
kodiert. Es vermittelt homophile Zell-zu-Zell-
Kontakte im Epithel. Eine verminderte Expression von E-Cadherin
führt in der Regel zur Lösung von Verbindungsstrukturen
zwischen Karzinomzellen. Daraus resultiert eine Zunahme des
metastastischen Potenzials und der Invasivität der Tumoren
(Handschuh et al. 1999). Bei intestinalen Tumoren wurde bisher
keine E-Cadherin-Mutation beschrieben.
Sowohl bei intestinalen als auch bei diffusen Magenkarzinomen
wird das nm23-Gen, ein Metastasensuppressor-Gen, in fortgeschrittenen
Stadien der Erkrankung vermindert exprimiert. Im
Gegensatz zu Mamma- und Kolonkarzinomen ist die nm23-Expression
beim Magenkarzinom nicht von prognostischem Wert,
sie ist jedoch generell mit dem Auftreten von Lymphknotenmetastasen
vermindert und zeigt ein aggressives Tumorwachstum
an (Müller et al. 1998).
Genetische Instabilität
Die genetische Instabilität ist ein weiterer wichtiger Weg der
Onkogenese (Keller et al. 1996). Gene wie mlh1 und msh2, die bei
der DNA-Reparatur von Fehlpaarungen (»mismatch repair«)
eine Rolle spielen, sind z. B. verantwortlich für die hereditären
nichtpolypösen kolorektalen Karzinome (HNPCC). Replikationsfehler
an Mikrosatelliten (Mikrosatelliteninstabilität) wurden
bei 64% der Magenkarzinome des diffusen und bei 17% des
intestinalen Typs gefunden (Chung et al. 1996). Diese Befunde
deuten darauf hin, dass die genetische Instabilität eine entscheidende
Rolle in der Entwicklung des Magenkarzinoms vom diffusen
Typ spielen könnte, das ja gehäuft in der nichtmetaplastischen
Magenschleimhaut und bei jüngeren Patienten auftritt (Hayden
et al. 1996; Semba et al. 1996).
Metastasierung
CD44 und seine Splice-Varianten sind für die Zell-Zell- und Zell-
Matrix-Interaktion von Bedeutung. Nahezu alle Magenkarzinome
wie auch die Metastasen zeigen eine Überexpression von
⊡ Tabelle 37.1. Übersicht über die Abfolge der Tumorinvasion und Metastasierung, Korrelation zu den biologischen Vorgängen.
(Zit. nach Allgayer et al. 1997)
Metastatischer Status Potenziell relevante Parameter
Primärtumor Stroma Induktion/Angiogenese: Proteaseinhibitoren (PAI, TIMP)
Wachstum und Proliferation: Tyrosinkinasefaktoren und ihre Rezeptoren (c-erbb2, c-met), Wachstums
faktoren und ihre Rezeptoren (EGF-Rezeptor, cripto), Signalübertragung (c-ras), Zellzyklusregulatoren
(pic1, G1- und G2-Zykline, CDKs, mts1), Tumorsuppressormutationen (p53, nm23), Apoptoseblock
(bcl-2), genetische Instabilität
Segregation vom Primärtumor Verlust der Adhäsionsmoleküle, tumorassoziierte Proteasen/Inhibitoren
Invasion des umgebenden Gewebes Tumorassozierte Proteasen (uPA-System, MMP, Kathepsine)
Invasion der Blutgefäße Tumorassozierte Proteasen (uPA-System, MMP-2 und 9)
Systemische Dissemination Disseminierte Tumorzellen (CK18-positiv)
Adhäsion und Extravasation Adhäsionsmoleküle, tumorassozierte Proteasen
Metastase Interaktion mit dem Mikroenviroment: tumorassozierte Proteasen und Inhibitoren, Adhäsionsmoleküle,
Verlust der MHC, Stromainduktion/Angiogenese: Proteaseinhibitoren (PAI, TIMP). Wachstum
und Proliferation: Tyrosinkinasefaktoren und ihre Rezeptoren (c-erbb2, c-met), Wachstumsfaktoren
und ihre Rezeptoren (EGF-Rezeptor, cripto), Signalübertragung (c-ras), Zellzyklusregulatoren
(pic1, G1- und G2-Zykline, CDKs, mts1), Tumorsuppressormutationen (p53, nm23), Apoptoseblock
(bcl-2), genetische Instabilität
PAI Plasminogen-Aktivator-Inhibitor, TIMP »tissue inhibitor of metalloproteinases«, EGF »epidermal growth factor«, CDK »cyclin-dependent
kinase«, UPA »urokinase-type plasminogen activator«, MMP »matrix metalloproteinase«, CK Zytokeratin.
37.1 · Grundlagen 451 37
CD44-Splice-Varianten. Allerdings zeigen intestinale und diffuse
Karzinome eine Überexpression von unterschiedlichen Varianten.
Dies deutet wiederum darauf hin, das die verschiedenen »Arten
« des Magenkarzinoms eine unterschiedliche genetische Pathogenese
aufweisen. Eine verstärkte CD44-Expression korreliert
mit vermehrter Fernmetastasierung z. Z. der Diagnose und mit
einer hohen Rezidivrate (Mayer et al. 1993).
Invasivität und Metastasierung werden ebenfalls stark durch
Proteasen beeinflusst. Die Zerstörung von Basalmembranen in
Gefäßwänden ist notwendig für die lymphogene und hämatogene
Metastasierung. Eines dieser Enzymsysteme ist der Urokinase-
ähnliche Plasminogen-Aktivator (uPA) zusammen mit dem
spezifischen Rezeptor (uPA-R) und Inhibitor (PAI).
Die Überexpression von uPA ist beim Magenkarzinom ein
unabhängiger Prognoseparameter (Heiss et al. 1995; Nekarda
et al. 1998).
37.1.3 Pathologie und Klassifikationen
Der am häufigsten auftretende histologische Typ des Magenkarzinoms
ist das Adenokarzinom. Beim Adenokarzinom des Magens
muss zwischen dem Magenfrühkarzinom (»early gastric
cancer«, EGC) und dem fortgeschrittenen Magenkarzinom unterschieden
werden.
Makroskopische Klassifikation des Magenfrühkarzinoms
Karzinome werden als Magenfrühkarzinom definiert, wenn
die Invasion nur auf die Mukosa oder Submukosa beschränkt
ist, unabhängig von der Lymphknotenmetastasierung.
Abweichend von der Borrmann-Klassifikation (Borrmann
1928), welche sich auf die verschiedenen Formen der Invasion
bezieht und die beim fortgeschrittenen Magenkarzinom benutzt
wird, beziehen sich die Klassifikationsregeln beim Magenfrühkar
zi nom auf das Wachstum des Karzinoms auf der Mukosa.
Das Magen frühkarzinom wird in drei Haupttypen unterteilt
(⊡ Abb. 37.2):
Genetische Instabilität
Diffuser Typ
n. Laurén
Intestinaler Typ
n. Laurén
Normale Zelle
Frühkarzinom
Metastasierung
Fortgeschrittenes
Karzinom
Adenom
Intestinale
Metaplasie
P53 Mutation
und Allelverlust
c-met 6.0 kb Expression
Cadherin-Verlust
1p LOH
TGF-β Überexpression
Veränderung am TGF-β-Rezeptor
CD44: veränderte Transkripte
7q LOH
Amplifikation von
K-sam und c-met
Reduzierung von nm23
Genetische Instabilität
APC LOH, p53 LOH
c-met 6.0 kb Expression
bcl -2 Gen- Verlust
18q (DCC) Verlust
1q LOH
Veränderung am
TGF-β-Rezeptor
CD44: veränderte
Transkripte
7q LOH
c- erbB-2 Amplifikation
Reduzierung von nm23
cripto -Überexpression
2.2 kb-Gen-Deletion
P53 Mutation
K-ras -Mutation
APC-Mutation
⊡ Abb. 37.1.
Vorschlag der Gruppe
von Tahara zur unter -
schied lichen Onkogenese
des intestinalen
vs. diffusen Magenkarzinoms
(Laurén)
452 Kapitel 37 · Magenkarzinom
37
Typ 1 Hervortretende Läsion: große noduläre oder polypoide
Läsion, die oft eine irreguläre Oberfläche aufzeigt
Typ 2 Oberflächliche Karzinome
Typ 2a Oberflächliche und gering erhabenen Läsion:
Hauptkennzeichen dieser Gruppe ist eine
geringe Erhabenheit von ungefähr 5 mm
Typ 2b Oberflächliche und flache Läsion: Diese
Läsionen liegen ungefähr in der gleichen
Ebene mit der umgebenden Mukosa
Typ 2c Oberflächliche und gering eingezogene
Läsion: Die Einziehung ist erosiv oder
ulkusähnlich. Es findet sich generell eine
abgeflachte Mukosaschicht an der Basis
Typ 3 Exkavation: tief erosive Ulzeration von unterschiedlicher
Tiefe
Makroskopische Klassifikation
des fortgeschrittenen Magenkarzinoms
Das lokal fortgeschrittenen Magenkarzinom wird makroskopisch
nach Borrmann in 4 Hauptgruppen eingeteilt (⊡ Abb. 37.3). In
einer Übersicht von Inokuchi et al. wurden für diese Gruppen
unterschiedliche 5-Jahres-Überlebensraten von jeweils 45, 45, 20
und 6% für die Typen I–IV beschrieben (Inokuchi et al. 1983).
Histologische Klassifikation
Eine histologische Diagnose muss, wenn immer möglich, vor jeder
Therapie stehen, beim Magenkarzinom sind häufig mehrere
Biopsien (8–10) erforderlich.
Die histologische Klassifikation des Magenkarzinoms folgt
den Empfehlungen der WHO (World Health Organization Classification
of Tumours 2000), die für jede Diagnose die konventionelle
histologische Klassifikation ( s. unten) und die Angabe
der Laurén-Klassifikation fordert (intestinal vs. nichtintestinal).
Die meisten Karzinome des Magens sind Adenokarzinome, die
von drüsigem Epithel aufgebaut sind und tubuläre, azinäre oder
papillären Strukturen enthalten. Die Tumoren können an intestinales
Epithel oder an Magenepithel erinnern.
Histologische Klassifikation des Magenkarzinoms
Tubuläres Adenokarzinom,
papilläres Adenokarzinom,
muzinöses Adenokarzinom,
Siegelringzellkarzinom,
adenosquamöses Karzinom,
Plattenepithelkarzinom,
kleinzelliges Karzinom und
undifferenziertes Karzinom.
Grading. Es gibt 4 verschiedene Differenzierungsgrade. Adenokarzinome
werden als G1 bis G3 differenziert. Kleinzellige und
undifferenzierte Karzinome werden als G4 bezeichnet. Siegelringzellkarzinome
werden generell als G3 graduiert. G1- und
G2-Tumoren werden zusammengefasst als Low-grade-Tumoren,
G3- und G4- als High-grade-Tumoren. Die Graduierung
ist in hohem Maße abhängig vor der Erfahrung des untersuchenden
Pathologen. Basis der Graduierung sind die verschiedenen
histologischen und zytologischen Parameter einschließlich
Ähnlichkeit mit dem Umgebungsgewebe, Zellularität, Diffe renzierung
von Kern- und Zellpleomorphismus, mitotischer Akti-
Typ I
Typ II
Typ III
IIa
IIb
IIc
(15 %)
(14 %)
(25 %)
(22 %)
(24 %)
⊡ Abb. 37.2. Endoskopische Klassifikation des Magenfrühkarzinoms.
Typ I: vorgewölbte Form, Typ II: oberflächliche Form, IIa erhaben,
IIb eben, IIc eingesenkt, Typ III: exkavierte Form
infiltrativer Typ
Typ I
Lokalisierter Typ
Typ II
Typ III
Typ IV
⊡ Abb. 37.3. Klassifikation der makroskopischen Form des Magenkarzinoms
nach Borrmann
37.1 · Grundlagen 453 37
vität und Nekrose. Das konventionelle histologische Typing hat
– mit der Ausnahme der seltenen Kleinzellkarzinome (schlechte
Prognose) und den noch selteneren medullären Karzinome (gute
Prognose) – in großen multivariaten Studien keinen Einfluss auf
die Prognose aufgezeigt (Hermanek et al. 1995).
Laurén-Klassifikation. Die Laurén-Klassifikation wird in Europa
seit ca. 20 Jahren benutzt, in der letzten Zeit auch vermehrt in
Japan (Laurén 1965). Es werden mit ihr zwei Entitäten beschrieben,
das intestinale und das diffuse Karzinom. Der intestinale
Typ besteht v. a. aus an Drüsen erinnernde Zellen, welche von
intestinalen Zylinderzellen umgeben werden. Diese Tumoren
sind deutlich demarkiert und kompakt arrangiert.
Im Gegensatz dazu sind die Tumoren des diffusen Typs oft
aus nicht zusammenhängenden Zellen aufgebaut, oftmals Siegelringzellen,
welche die Magenwand exzessiv infiltrieren. Diese
Tumoren sind histologisch schlecht demarkiert mit weit verstreuten
Tumorzellen (Desmoplasie). Die Magenfalten sind generell
abgeflacht oder sogar total obliteriert. Aufgrund dieses histologischen
Bildes werden die szirrhösen Magenkarzinome auch als
Linitis plastica bezeichnet.
⊡ Tabelle 37.2. TNM/R-Staging des Magenkarzinoms
(UICC 2000)
T – Primärtumor
T1a Limitiert auf die Mukosa (Invasion der Lamina propria)
T1b Invasion der Submukosa
T2 Tumor infiltriert die Muscularis propria oder die
Subserosa
T2a Tumor infiltriert die Muscularis propria
T2b Tumor infiltriert die Subserosa
T3 Penetration der Serosa ohne Invasion benachbarter
Strukturen
T4 Tumor infiltriert benachbarte Strukturen und/oder
Organe
N – Regionäre Lymphknoten
N0 Keine Lymphknotenmetastasen
N1 1–6 Lymphknoten betroffen
N2 7–15 Lymphknoten betroffen
N3 >15 Lymphknoten betroffen
M – Fernmetastasen
M0 Keine Fernmetastasen
M1 Fernmetastasen (LYM, PER, HEP, PUL etc.)
R – Residualtumor
R0 Kein Residualtumor nachweisbar
R1 Mikrokopisch Residualtumor nachweisbar
R2 Makroskopisch Residualtumor nachweisbar
⊡ Tabelle 37.3. Stadiengruppierung des Magenkarzinoms
(UICC 2000)
Stadium Primärtumor
Regionäre
LK
Fernmetastasen
0 Tis N0 M0
IA T1 N0 M0
IB T1
T2a/b
N1
N0
M0
M0
II T1
T2a/b
T3
N2
N1
N0
M0
M0
M0
IIIA T2a/b
T3
T4
N2
N1
N0
M0
M0
M0
IIIB T3 N2 M0
IV T1, T2, T3
T4
Jedes T
N3
N1, N2, N3
Jedes N
M0
M0
M1
UICC/TNM-Klassifikation
Der Standard, der von der WHO zur Evaluation des Resektionspräparates
gefordert wird, umfasst folgende Parameter: Lokalisation
und Größe des Primärtumors, seine mikro- und makroskopische
Beschaffenheit, seine anatomische Ausdehnung und
das Ausmaß der Lymphknotenmetastasierung. Ganz entscheidend
ist das Verhältnis des Primärtumors zu den Resektionsrändern
(⊡ Tabelle 37.2, 37.3). Bei Analyse von Studien aus Japan
und der westlichen Welt ist zu beachten, dass verschiedene Stagingmodalitäten
herrschen, die Systeme sind nicht direkt vergleichbar.
Im Folgenden findet sich eine Beschreibung einiger spezieller
Aspekte der TNM-Klassifikation.
Ausmaß des Primärtumors (T-Kategorie)
T1/pT1. Das Stadium T1/pT1 bezeichnet Karzinome, welche die
Lamina propria mucosa oder die Submukosa infiltrieren. Diese
Kategorie entspricht dem Magenfrühkarzinom. Für die Diagnose
eines Magenfrühkarzinoms ist die komplette histologische Beurteilung
der resezierten Läsion erforderlich. Die unterschiedliche
Prognose für Mukosa- und Submukosakarzinome, basierend auf
ihrer unterschiedlichen Lymphknotenmetastasierung, bedingt
eine Differenzierung der pT1-Tumoren in
▬ pT1a (der Tumor infiltriert die Lamina propria) und
▬ pT1b (der Tumor infiltriert die Submukosa).
T2/pT2. Tumore, welche die Muscularis mucosa und oder die
Subserosa infiltrieren, werden als T2-Karzinome bezeichnet.
Diese Tumoren können sich hinter der Muscularis propria in die
gastrokolischen und gastrohepatischen Ligamente oder in das
Fettgewebe der großen oder kleinen Kurvatur ohne Perforation
des viszeralen Peritoneums ausbreiten. Seit 2002 wird in der
UICC zwischen pT2a- und pT2b-Tumoren unterschieden. Da
der Magen nicht vollständig von Serosa bedeckt ist, können T2-
Karzinome der großen und kleinen Kurvatur (des proximalen
454 Kapitel 37 · Magenkarzinom
37
Drittels des Magens und der Hinterwand des Fundus) weit über
die Magenwand hinaus infiltrieren, ohne jemals die Serosa zu
perforieren (T3-Kategorie). Die Aufteilung in T2a/b versucht, die
unterschiedlich Prognose der T2-Karzinome zu verdeutlichen:
▬ T2a (der Tumor infiltriert die muscularis propria) und
▬ pT2b (der Tumor infiltriert die Subserosa und/oder nichtperitonealisiertes,
perigastrisches Fettgewebe).
Leider findet diese wichtige Spezifizierung keinen Niederschlag
in der Stadiengruppierung der UICC.
N-Kategorie. Die regionalen und nichtregionalen abdominalen
Lymphknoten (LK) sind nach den Empfehlungen der »Japanese
Research Society for Gastric Cancer« in anatomische Gruppen
aufgeteilt und stationsweise nummeriert (Japanese Research
Society for Gastric Cancer 1995). Die regionalen LK des Magens
sind aufgeteilt in zwei Kompartimente (1=perigastral und 2=perizöliakal).
Nichtregionale LK (jenseits des Truncus coeliacus)
werden als Kompartiment 3 bezeichnet. In der TNM-Klassifikation
wird die Lymphknotenmetastasierung nach der Anzahl der
involvierten LK bewertet:
▬ pN1: 1–6 metastatische LK,
▬ pN2: 6–15 und
▬ pN3: mehr als 15.
Im Gegensatz dazu wird nach der japanischen Klassifikation die
Lymphknotenmetastasierung innerhalb der Stationen 1–6, abhängig
von der genauen anatomischen Lage des Tumors, als pN1
klassifiziert. Der metastatische Befall wenigstens eines LK der
Gruppe 7–11 wird als pN2 bezeichnet, der metastatische Befall
der LK Nummer 12 (Lig. hepatoduodenale) wird bereits als eine
Fernmetastasierung (M1Lym) betrachtet. Dies muss beim Vergleich
von Studien immer beachtet werden.
Voraussetzung für die Diagnose pN0 beim Magenkarzinom
ist die histologische Begutachtung von mindestens 15 resezierten
Lymphknoten.
R-Klassifikation. Die Residualtumor(R)-Klassifikation ist von
ent scheidender Bedeutung für die Prognose des Patienten und
für weitere therapeutische Überlegungen nach der Operation.
Die Einteilung ist in ⊡ Tabelle 37.2 dargestellt.
37.1.4 Prognosefaktoren
Unter einem Prognosefaktor versteht man einen klinischen oder
tumorbiologischen Parameter, der für sich allein die Prognose
eines Patienten messbar beeinflussen kann. Bei der Evaluierung
dieser Faktoren muss nach einem strengen und reproduzierbaren
Schema vorgegangen werden. Daten für Faktoren mit klinischer
Relevanz sollten nur prospektiv nach kompletter Tumorresektion
(R0-Resektion) erhoben werden. Die Patienten sollten
ferner nach standardisierten Therapieprotokollen behandelt
worden sein.
Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, muss die Unabhängigkeit
eines Prognosefaktors durch eine multivariate Analyse
bewiesen werden. Nur durch diese Analyseform kann der Einfluss
eines individuellen Faktors auf das Gesamtüberleben einer
Population statistisch abgesichert werden, die univariate Analyse
reicht hierzu nicht aus. Erst bei Einhaltung dieser Standards kann
ein Prognosefaktor als eigenständig gesichert werden (Siewert u.
Sendler 1995). Die teilweise widersprüchlichen Ergebnisse in der
Literatur zu Prognosefaktoren liegen zum Teil darin begründet,
dass für die Auswertung sowohl Daten von Patienten nach inkompletter
Resektion als auch retrospektiv asserviertes Paraffinmaterial
herangezogen wurde (Sendler et al. 1997).
Das Schicksal eines Patienten mit Magenkarzinom wird
durch die Möglichkeit der kompletten Resektion bestimmt. Konsequenterweise
ist die R0-Resektion auch der stärkste prognostische
Faktor in multivariat analysierten Studien (Bonenkamp et al.
1993; Siewert et al. 1998). Das mediane Überleben beträgt nach
explorativer Laparotomie nur 3 bis 5 Monate, nach R1- oder R2-
Resektion zwischen 7 und 11 Monaten (Siewert u. Fink 1995). Im
Folgenden soll nur auf Prognosefaktoren nach kompletter Resektion
eingegangen werden ( s. auch folgende Übersicht).
Verifizierte und vermutete Prognosefaktoren
beim Magenkarzinom
Verifizierte Faktoren:
– TNM-Stadium,
– R-Kategorie,
– Lymphknotenratio (entfernt/befallen),
– freie Tumorzellen in der abdominellen Lavage.
Nicht gesicherte Faktoren:
– histologische Klassifikation und Grading,
– Mikrometastasierung,
– Proliferation
(Ploidie, S-Phase, Mitosenindex, Zellkinetik),
– proliferationsassoziierte Antigene
(Ki-67, PCNA, p105),
– Protoonkogene
(c-myc, c-erbb-2/neu, c-ha-ras, c-ki-ras, int-2, hst-1),
– Tumorsuppressor-Gene
(nm 23, p53),
– Zelladhäsion
(Integrine, E-Cadherin, CD44, uPA/PAI);
– Varia
(Ca-195, EGFR, TGF-α, mdr 1).
Tumorbezogene Prognosefaktoren
Nach der R0-Resektion ist die anatomische Ausbreitung des Primärtumors
einschließlich seiner Metastasen der zweitwichtigste
Prognosefaktor. Multivariate Analysen belegen den großen Einfluss
des Ausmaßes der Magenwandinfiltration, der regionalen
Lymphknotenmetastasierung und des Vorhandenseins von Fernmetastasen
auf die Prognose. Durch die Infiltrationstiefe des Primärtumors
wird das Ausmaß der Lymphknotenbeteiligung prädisponiert.
So haben 70% der Patienten der pT3-Kategorie bereits
Lymphknotenmetastasen (⊡ Abb. 37.4).
In zahlreichen multivariaten Analysen zeigt sich, dass
der Lymphknotenstatus des R0-resezierten Patienten der wichtigste
unabhängige Prognosefaktor ist. Bereits das «microinvolvement
» der LK (nur immunhistochemisch detektierbar,
isolierte oder kleine Gruppen von Tumorzellen in Lymphknoten,
die in der Routinehistologie als unauffällig befundet
wurden) hat eigenständige prognostische Bedeutung (Siewert
et al. 1996).
37.1 · Grundlagen 455 37
Freie Tumorzellen im Abdomen
Falls das Magenkarzinom das Mesothel der Serosa penetriert,
können freie Tumorzellen in der Bauchhöhle nachgewiesen werden.
Patienten, bei denen eine Invasion der Serosa und freie intraperitoneale
Tumorzellen vorliegen, haben eine signifikant
schlechtere Prognose (Bonenkamp et al. 1996; Burke et al. 1998).
Dabei spielte sogar das Ergebnis der Operation (palliativ oder
kurativ) eine geringere Rolle.
Zytokeratin-positive Zellen im Knochenmark
Der Nachweis von freien Tumorzellen im Knochenmark scheint
ein signifikanter Befund für ein früheres Rezidiv und generell
eine schlechtere Prognose zu sein. Im Frühstadium der Erkrankung
werden deutlich weniger Tumorzellen gefunden als bei
fortgeschrittenen Stadien. Doch erleiden nicht alle Patienten, bei
denen Tumorzellen im Knochenmark gefunden werden, ein Rezidiv
(Jauch et al. 1996; Heiss et al. 1997).
In einer Metaanalyse kam man jedoch einschränkend zum
Ergebnis, dass bei der Beurteilung freier Tumorzellen im Knochenmark
noch methodische Fragen unklar sind. Die definitive
Bedeutung für Diagnose, Prognose und Therapie muss letztendlich
als nicht gesichert angesehen werden (Borgen et al. 1998;
Funke u. Schraut 1998).
Tumorbiologische Faktoren
Der Einfluss der verschiedenen tumorbiologischen Faktoren auf
die Prognose ist in Abschn. 37.1.2 beschrieben. Generell ist zu
bemerken, dass sich die Studien für viele Faktoren oft diametral
widersprechen, die Kollektive oft sehr klein sind, und die Faktoren
retrospektiv untersucht wurden. Für die Zukunft ist durch
den Einsatz den Microarray-Technik mit der simultanen Untersuchung
der Expression von z. Z. bis zu 50.000 Genen – die jedoch
oft nicht definiert sind – eine exponentielle Zunahme der
Prognosemarker zu erwarten (Tay et al. 2003). Bis heute gibt es
jedoch kein verlässliches «Markerpanel» um die Prognose eines
Patienten entsprechend der Genexpression festzulegen, ebenfalls
hat noch kein tumorbiologischer Prognosefaktor den in Weg in
die klinische Anwendung gefunden. Es ist zu erwarten, dass sich
in der Zukunft mit Hilfe der Array-Technologie prätherapeutisch
relativ verlässliche Daten zur Chemosensitivität der Tumoren erhalten
werden können.
Patientenbezogene Prognosefaktoren
Der Einfluss von Alter und Geschlecht auf die Überlebenswahrscheinlichkeit
bleibt trotz großer multivariater Analysen widersprüchlich.
Die deutsche Magenkarzinomstudie hat aufgezeigt,
dass Komorbidität und Allgemeinzustand des Patienten (gemessen
nach dem Karnofsky-Index) die einzigen unabhängigen Prognosefaktoren
für Morbidität bzw. Überleben nach Gastrektomie
sind (Böttcher et al. 1992). Alle anderen patientenbezogenen Faktoren,
die aufgrund univariater Analysen veröffentlicht worden
sind (z. B. Gewichtsverlust, Hämoglobinwert bei Aufnahme, epigastrischer
Schmerz), sind in multivariaten Analysen nicht bestätigt
worden.
Therapiebezogene Prognosefaktoren
Die R0-Resektion ist der entscheidende prognostische Faktor bei
der Behandlung des Magenkarzinoms. Ihre Häufigkeit korreliert
direkt mit der Erfahrung des Behandlungszentrums und des
operierenden Chirurgen. In multivariaten Analysen wurde beides,
sowohl die Erfahrung des Behandlungszentrums als auch
die individuelle Erfahrung des operierenden Chirurgen, als unabhängiger
Einflussfaktor auf Morbidität und das Langzeitüberleben
dargestellt (Fujita u. Yamazaki 2002; Wainess et al. 2003).
⊡ Abb. 37.5 zeigt dazu die Ergebnisse der deutschen Magenkarzinomstudie.
Der Einfluss der erweiterten (D2-)Lymphadenektomie (LA)
auf das Überleben wird in Abschn. 37.5.1 genauer analysiert. Ein
therapieabhängiger prognostischer Faktor ist der sog. Lymphknoten-
Quotient: das Verhältnis zwischen der Anzahl der chirurgisch
entfernten und histologisch untersuchten LK und der
Anzahl der tumorbefallenen LK.
Die Prognose der Patienten kann durch eine Lymphadenektomie
immer dann nachhaltig verbessert werden, wenn der
Lymphknoten-Quotient <0,2 ist.
pT1a
b
pT2a
b
pT3
pT4
Mukosa
Submukosa
Muscularis
propria
Subserosa
Serosa
<5%
20 %
40 %
70 %
90 %
⊡ Abb. 37.4. Zunahme der Lymph- Primärtumor Lymphknoten
knotenmetastasierung in der jeweiligen
T-Kategorie
0
0
Komplikationsrate [%]
Resektionen / Monat [n]
5
10
15
20
25
30
35
40
45
50
55
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
⊡ Abb. 37.5. Korrelation zwischen Resektionshäufigkeit und Morbidität
nach Gastrektomie, Daten der German Gastric Cancer Study (r=-0,26,
p=0,1)
456 Kapitel 37 · Magenkarzinom
37
Das bedeutet für den klinischen Alltag, dass etwa 5-mal mehr LK
entfernt werden müssen, als in der Routinehistologie befallen
sind (Siewert et al. 1996).
⊡ Tabelle 37.4 zeigt eine Zusammenstellung der bisher bewiesenen
und noch fraglichen Prognosefaktoren.
37.2 Klinische Symptomatologie
Typisch für die Entwicklung des Magenkarzinoms ist, dass die
Symptome bis zu den Spätstadien der Erkrankung nur minimal
sind. Es gibt keine spezifischen Zeichen oder Symptome, die eindeutig
auf die Erkrankung hinweisen. Die Initialsymptome sind
indolent und werden vom Patienten meistens sehr gut toleriert,
all das führt zu einer Verzögerung der Diagnosestellung. Alle
Symptome können miteinander kombiniert sein, keines ist spezifisch
(Wanebo et al. 1993):
Symptom Inzidenz
[%]
Gewichtsverlust 61,6
Bauchschmerzen 51,6
Nausea 34,3
Meläna 20,2
Gewichtsverlust und unspezifische Abdominalbeschwerden sind
die häufigsten Initialsymptome. Gewichtsverlust weist jedoch oft
schon auf eine fortgeschrittene Erkrankung hin und Patienten
mit einem Gewichtsverlust über 5 kg haben ein kürzeres Überleben.
Die abdominellen Beschwerden beginnen als kaum merkbarer
Schmerz im oberen Abdomen; dieser variiert von einer
unbestimmten »Magenfülle« bis zu einem dauernden Schmerz.
Anorexie und Nausea kommen ebenfalls oft vor. Dysphagie weist
auf einen Tumor der Kardia oder des gastroösophagealen Übergangs
hin, Erbrechen findet sich mehr bei distalen Karzinomen,
die den Pylorus obstruieren. Patienten mit einem szirrhösen Karzinom
(Linitis plastica) können ein Gefühl schneller Sättigung
entwickeln. Obwohl eine Tumorblutung ungefähr bei 20% der
Patienten auftritt, ist eine massive Blutung aus Magenkarzinomen
selten zu beobachten. Die Blutung ist eher ein Symptom für einen
gastrointestinalen Stromatumor (GIST). Die körperliche Untersuchung
kann das Magenkarzinom allenfalls im Spätstadium
entdecken. Eine Gewebsvermehrung im Epigastrium, eine vergrößerte
Leber, Aszites, Gelbsucht oder schon tastbare supraklavikuläre
LK (Virchow) deuten auf eine weit fortgeschrittene und
inkurable Erkrankung.
Nach wie vor ist die Identifizierung von asymptomatischen
Patienten mit hohem Risiko für die Entstehung eines Tumors von
klinischer Bedeutung. Massenscreeningprogramme wie in Japan
sind jedoch in westlichen Ländern nicht kosteneffektiv. In einer
Arbeit von Hallissey et al. (1990) wurden die Vorteile der »open
access endoscopy« für Patienten älter als 40 Jahre mit unspezifischen
Magenbeschwerden dargestellt: Eine maligne Erkrankung
wurde bei jedem 25. Patienten, ein Magenkarzinom bei jeder 50.
Endoskopie gesichert. 30% der 57 Patienten, bei denen ein Magenkarzinom
bioptisch gesichert wurde, hatten ein Frühkarzinom.
37.3 Notwendige Diagnostik und Staging
Am Beginn der Diagnosestellung und des Stagings steht die Endoskopie.
Durch die moderne Videofiberendoskopie und durch
die histologische Diagnostik nach Biopsien ist die Ösophago-
Gastro-Duodenoskopie heutzutage die initiale Untersuchung bei
unspezifischen Oberbauchbeschwerden. Es gibt für das Magenkarzinom
keine spezifischen Serum-Tumormarker. Das CEA
(karzinoembryonales Antigen) ist v. a. bei Patienten mit bereits
fortgeschrittener Erkrankung deutlich erhöht, es kann u. U. als
Marker zum Monitoring des Therapieerfolges dienen; gleiches
gilt für das CA 72-4.
Nach der initialen Diagnose spielt die Evaluation, ob der Tumor
R0-resektabel ist, die entscheidende Rolle im Entscheidungsprozess
für oder gegen eine primäre Operation. Wie bereits ausgeführt,
kann die Prognose des Patienten nur durch eine R0-Resektion
verbessert werden. Falls generell die Chirurgie als die
einzige sinnvolle Therapiemöglichkeit erachtet wird, profitieren
nur Patienten mit irresektablen Tumoren von den oft zeitaufwändigen
und teuren diagnostischen Verfahren. Wenn jedoch multimodale
Therapiestrategien bei der Behandlung des Magenkarzinoms
in Erwägung gezogen werden, ist die stadienspezifische
Therapie Ziel dieser Diagnostik.
37.3.1 Staging
Nach den Regeln der UICC und der American Joint Commission
on Cancer (AJCC) wird das Staging des Magenkarzinoms nach
dem TNM-System durchgeführt (⊡ Tabelle 37.2, 37.3). Das moderne
Staging geht über körperliche Untersuchung, genaue Anamnese
und Basisuntersuchungen wie Endoskopie, Biopsie, Oberbauchsonographie
hinaus. Heutzutage sollte es den endoluminalen
Ultraschall (EUS) und bei lokal fortgeschrittenen Befunden
die chirurgische Laparoskopie einschließen.
Primärtumor
Bei der ersten Endoskopie sollte die Lokalisation des Tumors und
seine makroskopische Beschaffenheit nach Borrmann klassifiziert
werden. Die Lokalisation des Tumors ist entscheidend, da
sie unterschiedliche operative Strategien impliziert. Tumoren des
proximalen Magendrittels können oft nicht von den eigentlichen
⊡ Tabelle 37.4. Prognosefaktoren beim Magenkarzinom
Faktoren Bewiesen Fraglich
Tumorbezogen
TNM-Stadium Tumorlokalisation
Tumormarker
(Serum und Lavage)
Histologie
Freie Tumorzellen Tumorbiologische
Marker
Knochenmarkbefall
Patientenbezogen
Komorbidität Geschlecht
Allgemeinzustand
Therapiebezogen
R0-Resektion Ausmaß der LA
(D1/D2)
Erfahrung des Zentrums
Lymphknoten-Quotient adjuvante Therapie
457 37
Kardiakarzinomen differenziert werden. Ferner müssen diese
Tumoren deutlich von den Adenokarzinomen des distalen Ösophagus
(Barrett-Karzinom) unterschieden werden.
Nach unserer Erfahrung können diese 3 Tumorentitäten
(AEG, adenocarcinoma of the esophago-gastric junction) am
besten nach der Lokalisation des Zentrums des Tumors unterschieden
werden (Siewert u. Stein 1998). Die Diagnose des Barrett-
Karzinoms (AEG Typ I) ist meistens einfach, da in 75–80%
der Fälle das begleitende spezialisierte Zylinderepithel gefunden
wird (Endobrachyösophagus). Beim Fehlen eines Endobrachyösophagus
müssen mindestens zwei Drittel der Tumormasse im
tubulären Ösophagus liegen, um einen Tumor als Barrett-Karzinom
zu klassifizieren. Bei proximalen Magenkarzinomen (AEG
Typ III) muss das Zentrum des Tumors deutlich aboral der anatomischen
Kardia liegen. Tumoren, deren Zentrum innerhalb
von 2 cm oral oder aboral der anatomischen Kardia gelegen ist,
werden danach konsequenterweise als reine Kardiakarzinome
klassifiziert (AEG Typ II, ⊡ Abb. 37.6).
Bei der ersten Biopsie wird der histologische Typ des Tumors
bestimmt.
Cave
Magenlymphome (MALT) müssen vor Behandlungsbeginn
definitiv ausgeschlossen werden, da diese Tumorentität
primär konservativ behandelt wird.
Ferner wird bei den ersten Biopsien die histopathologische Klassifikation
nach Laurén durchgeführt.
Da die Tiefe der Infiltration einer der wichtigsten Prognosefaktoren
ist, ist der EUS der nächste Schritt in der weiteren Diagnostik.
Die diagnostische Genauigkeit des Ultraschalls beträgt
hinsichtlich der T-Kategorie ungefähr 85% (⊡ Tabelle 37.5). Probleme
treten nach wie vor auf bei der Differenzierung des T2-
vom T3-Stadium, also bei der Unterscheidung von lokalen und
lokal fortgeschrittenen Tumoren, speziell beim ulzerierten Magenkarzinom
ist es schwierig, zwischen Karzinom, entzündetem
Gewebe und Fibrose zu unterscheiden (»Miss-Staging«, ⊡ Tabelle
37.6; Rösch 1995). Auf jeden Fall ist der EUS der CT in der Bestimmung
des T-Stadiums überlegen. Lightdale (1992) fand eine
Übereinstimmung von 92% zwischen EUS und pTNM- Stadium
und nur eine von 42% zwischen CT und postopera tiver Pathologie.
Auch mit der Spiral-CT lässt sich nur eine 65%ige Übereinstimmung
erzielen. Dabei scheint die MRT noch etwas besser abzuschneiden
(18 vs. 73% Genauigkeit; Sohn et al. 2000).
Über die Ergebnisse mit der modernen Mehrzeilen-Spiral-
CT (MS-CT) liegen noch keine publizierten Daten vor. Sie bietet
dem Chirurgen jedoch den Vorteil der Visualisierung der Befunde
zeitgleich in koronaren Schichten und in der dreidimensionalen
Rekonstruktion. Da eine CT-Untersuchung des Abdomens
beim fortgeschrittenen Magenkarzinom immer erforderlich ist,
ist dies sicher die Methode der Zukunft.
In letzter Zeit wird der Einsatz der Endosonographie zunehmend
kritisch diskutiert, da sich in der klinischen Routine deutlich
schlechtere Sensitivitäten zeigen (Bösing et al. 2003). Zwei
Dinge sind hierbei zu beachten: Die Methodik ist zum einen untersucherabhängig,
zum anderen ist derzeit kein Verfahren in der
Lage, mit gleicher Sensitivität die Tiefeninfiltration zu bestimmen.
Zudem sind weitere technische Verbesserungen, wie z. B.
Minisondenendoskopie, zu erwarten.
Lymphknotenmetastasierung
Die Erfassung des Lymphknotenbefalls ist nach wie vor schwierig.
Beim EUS wird eine diagnostische Genauigkeit von nur 65–
87% angegeben (⊡ Tabelle 37.5; Rösch 1995). Diese Ergebnisse
bewerten den Nodalstatus nach der alten TNM-Klassifikation
(1987), nach der neuen Klassifikation ist eher eine noch gerindistales
Ösophaguskarzinom
I
II
III
Kardiakarzinom
subkardiales
Karzinom
Zentrum
des Tumors
5
1
0
5
AEG cm
Typ
⊡ Abb. 37.6. Einteilung der Karzinome des gastroösophagealen Übergangs
(AEG)
⊡ Tabelle 37.5. Genauigkeit der EUS im Staging des Magenkarzinoms
(TNM, UICC 1983). (Rösch 1995)
Stadium n EUS-Genauigkeit
[%]
T1 483 86
T2 301 64
T3 500 91
T4 143 80
N0 282 85
N1 311 71
N2 232 65
⊡ Tabelle 37.6. »Miss-Staging« durch EUS – T-Kategorie.
(Rösch 1995)
Kategorie
n Korrekt
[%]
Understaging
[%]
Overstaging
[%]
T1 413 86 14
T2 282 71 8 21
T3 242 89 7 4
T4 120 81 19
37.3 · Notwendige Diagnostik und Staging
458 Kapitel 37 · Magenkarzinom
37
gere Sensitivität zu erwarten, da nicht die Nähe zum Tumor,
sondern die Anzahl der befallenen LK entscheidend ist. Wie in
⊡ Abb. 37.4 gezeigt, korrelieren T-Kategorie und Anzahl und Lokalisation
der infiltrierten Lymphknoten. T3-Tumoren haben
bereits eine Wahrscheinlichkeit von 70% positiver LK (⊡ Abb. 37.4;
Siewert et al. 1997). Der EUS ist auf jeden Fall akkurater als
der perkutane Ultraschall oder das CT für die Erfassung der NKategorie.
Durch ein von K. Maruyama (National Cancer Center Tokyo)
entwickeltes Computerprogramm lässt sich das Problem, metastatisch
befallene LK zu erfassen, relativ sicher (94%) überwinden.
Zusätzlich ist es möglich, die Lokalisation der zu erwartenden
Metastasen vorherzusagen (Maruyama et al. 1989). ⊡ Abb. 37.7
zeigt ein Beispiel des Programms für ein proximal gelegenes
T3-Karzinom, Grundlage der angezeigten LK-Stationen ist die
Klassifikation der Japanese Gastric Cancer Association.
M-Kategorie – Fernmetastasen
Durch die embryonale Rotation des Magens metastasiert das Magenkarzinom
nicht nur in die LK des großen und kleinen Netzes,
sondern auch in die LK um den Truncus coeliacus und damit in
den Retroperitonealraum (Sarrazin et al. 1980). Der Tumor selbst
kann per continuitatem die Leber, das Pankreas, die Milz und das
Colon transversum infiltrieren. Selten, bei ungefähr 3% der Fälle,
metastasiert der Tumor primär in das Knochenmark, bei Frauen
kommen Abtropfmetastasen auf den Ovarien (Krukenberg-Tumoren)
vor.
Die verschiedenen Untergruppen der Laurén-Klassifikation
haben ebenfalls unterschiedliche Wege der Metastasierung. Während
der intestinale Typ vor allen Dingen die Leber und die LK
infiltriert, metastasiert der diffuse Typ rasch in das Peritoneum
(Weiss et al. 1993). Zieht man diese Metastasierungswege in Betracht,
ist die CT-Untersuchung des Abdomens und Beckens
beim Staging des Magenkarzinoms unabdingbar. Ein Problem
dabei ist, dass die Metastasierung in das Peritoneum durch die
CT nur dann vermutet werden kann, wenn schon Aszites vorliegt.
In der Leber bereiten die kleinen Metastasen (<1 cm im
Durchmesser) ein Problem, da sie durch die etablierten diagnostischen
Methoden oft nicht visualisierbar sind. Die Sensitivität
des Ultraschalls und der Spiral-CT für die Erfassung von Lebermetastasen
liegt ungefähr bei 85% (Saini 1997). Die derzeit wohl
beste Methode zur Erfassung der Lebermetastasen ist das MRT
mit Gadolinium als Kontrastmittel, von Sensitivitäten bis zu 90%
wird berichtet (Rode et al. 2001).
Momentan besteht für den Einsatz der Positronenemissionstomographie
(PET) im Staging des Magenkarzinoms im Rahmen
der klinischen Routine keine Indikation. Über die Sensitivität des
Lymphknotenstaging werden divergierende Ergebnisse publiziert
(zwischen 23 und 91%). Sicher scheint zu sein, dass Karzinome
vom diffusen Typ aufgrund der oft ausgeprägten Desmoplasie
schlecht in FDG(Fluorodesoxyglukose)-PET abgebildet werden
(Mochiki et al. 2004; Yoshioka et al. 2003).
Die dargestellten Probleme des Stagings der Abdominalhöhle
werden durch die chirurgische Laparoskopie überwunden. Die
peritoneale Aussaat ist einfach zu sichern und wird durch die
Biopsie bewiesen. In einer Studie wurde die Peritonealkarzinose,
die im konventionellen Staging nicht diagnostiziert worden war,
bei 23% von 111 Patienten während der Laparoskopie gesichert
(Feussner et al. 1999). Durch den laparoskopischen Ultraschall
wird die Erfassung von kleinen Lebermetastasen möglich. Weiterhin
kann während der Laparoskopie eine Lavage gewonnen
werden, um freie Tumorzellen in der Bauchhöhle zu detektieren.
Die Durchführung einer chirurgischen Laparoskopie beim lokal
fortgeschrittenen Magenkarzinom gehört in Zentren zur diagnostischen
Routine (Blackshaw et al. 2003; Sendler u. Siewert
2003).
Das Staging für Fernmetastasen wird abgeschlossen durch
eine konventionelle Röntgenuntersuchung des Thorax.
Bei primärer Leuko-/Thrombozytopenie ist ein Knochenszintigramm
zum Ausschluss einer Infiltration des Knochenmarkes
indiziert.
⊡ Abb. 37.8 zeigt einen diagnostischen Algorithmus für das präoperative
Staging, durch das die Identifizierung einer Gruppe von
Patienten mit lokal fortgeschrittenem Karzinom möglich wird,
die von einer multimodalen Therapie profitiert.
LN-8
8%
LN-7
33 %
LN-1
17 %
LN-3
42 %
LN-4
67 %
LN-5
17 %
LN-6
17 %
LN-2
0%
LN-10
0%
LN-11
0%
LN-9
0%
LN-12
0%
LN-13
0%
LN-14
0%
LN-16
0%
LN-15
0%
⊡ Abb. 37.7. Darstellung der LK-Metastasierung
mit Hilfe des Maruyama-
Computerprogramms im Falle eines
lokal fortgeschrittenen Karzinoms (cT3)
im Magenkorpus
459 37
37.4 Operative Therapie
37.4.1 Therapieziele
Bis heute ist die Behandlung unter »kurativer« Intention nur
durch die Resektion des Magenkarzinoms und seines Lymphabflussgebietes
möglich. Im Folgenden wird auf die Möglichkeiten
der modernen Magenchirurgie, die Komplikationen und die Ergebnisse
eingegangen (⊡ Tabelle 37.7). Weitere Behandlungsoptionen
bietet die Chemotherapie, als neoadjuvante (präoperative),
adjuvante oder additive (palliative) Form und – in wenigen Fällen
– die Strahlentherapie.
Ziel jeder Resektion eines Magenkarzinoms sollte die komplette
Tumorentfernung sein. Dieses entspricht einer R0-Resektion
gemäß der UICC. Die vollständige Resektion bezieht sich
einerseits auf den Primärtumor (kein Residualtumor an den oralen
und aboralen Resektionsrändern und im Tumorbett, »dritte
Dimension«), andererseits auf die Lymphabflussgebiete. Das
Minimalziel ist, keinen Residualtumor in den Grenzlymphknoten
zurückzulassen.
Um die Prognose eines Patienten durch die Operation zu
verbessern, muss der Tumor mit adäquaten Sicherheitsabständen
entfernt werden. Das Ausmaß der Abstände wird durch den
Wachstumstyp des Tumors (Laurén-Klassifikation), das histologische
Grading und die T-Kategorie bedingt. Magenkarzinome
des diffusen Typs nach Laurén benötigen einen weiteren Sicherheitsabstand
als Tumoren des intestinalen Typs, dies gilt auch für
das Tumorbett. In Untersuchungen findet sich eine signifikante
Korrelation zwischen T-Kategorie und R0-Resektionsrate (⊡ Tabelle
37.8).
Videoendoskopie
Biopsie
Endoskopischer Ultraschall
T1/T2-Tumor T3/T4-Tumor
Oberbauchsonographie
CT-Abdomen/Becken
Diagnostische Laparoskopie
(+ Lap. Ultraschall und
Lavagezytologie)
Resektion Neoadjuvante Therapie
Metastasen?
Umgebungsbeziehungen?
Metastasen?
Peritonealkarzinose?
Lebermetastasen?
Freie Tumorzellen?
Lokalisation?
Klassifikation ?
(Borrmann, Laurén)
Grading, Prognosefaktoren?
Tumorausdehnung
(T-/N-Kategorie?)
Maruyama-
Computerprogramm
⊡ Abb. 37.8.
Algorithmus zur Diagnostik
des Magenkarzinoms
⊡ Tabelle 37.7. Magenkarzinom: Verfahrenswahl bei der chirurgischen Therapie
Stadium Empfohlenes Vorgehen
IA Resektion durch kombinierte endoskopisch-laparoskopische Wedge-Resektion
Bei anatomisch ungünstiger Lokalisation und bei Hochrisikopatienten: endoskopische Mukosaresektion
Palliativsituation: Lasertherapie
IB, II, IIIA im distalen
Magendrittel
Subtotale Gastrektomie und D2-LA (bei pylorusnahen Tumoren mit Ausdehnung auf die LK-Stationen 12, 13
und 16 rechts)
IB, II, IIIA im mittleren
Magendrittel
Totale Gastrektomie und D2-LA
IB, II, IIIA im proximalen
Magendrittel
Erweiterte Gastrektomie mit Einbeziehung des distalen Ösophagus (tranhshiatal erweitert) und D2-LA mit
Ausdehnung auf die LK-Stationen 10, 11 und 16 (links)
IIIB, IV Neoadjuvante Chemotherapie, bei Ansprechen Tumorresektion, palliative Chemotherapie
Palliative Verfahren, z. B. Gastroenterostomie, Stenteinlage, Lasertherapie
Gastrektomie nur bei Blutung oder kompletter Magenausgangsstenose
37.4 · Operative Therapie
460 Kapitel 37 · Magenkarzinom
37
Der Sicherheitsabstand sollte auch im Gebiet des Lymphabflusses
beibehalten werden. N-Kategorie und R0-Resektionsrate
korrelieren ebenfalls miteinander. Falls die Prognose durch die
Resektion verbessert werden soll, muss die Anzahl der entfernten
LK die Anzahl der metastatisch befallenen LK deutlich
übersteigen. In multivariaten Analysen ist das Verhältnis von
metastatischen zu entfernten LK (»lymph node ratio«) ein eigenständiger
Prognosefaktor (Siewert et al. 1993). Um die Prognose
zu verbessern ist ein Lymphknoten-Quotient <0,2 erforderlich
(d. h. maximal 20% der entfernten LK sind metastatisch befallen).
Operationen, die nicht mit einer kompletten Entfernung
der Tumors und seines Drainagegebietes beendet werden,
verbessern die Prognose des Patienten in keiner Hinsicht
und sind rein palliative Maßnahmen.
37.4.2 Indikationsstellung
Mit Hilfe der bereits beschriebenen Stagingmodalitäten kann
heutzutage die Ausbreitung eines Tumors mit einer Genauigkeit
von 80–85% vorhergesagt werden. Es sind drei unterschiedliche
Situationen mit verschiedenen therapeutischen Strategien zu
unterscheiden:
Stadium IA
Die Subgruppe von Patienten (im eigenen Krankengut 8%) mit
Magenfrühkarzinom kann mit einer lokalen Exzision behandelt
werden. Die Wahrscheinlichkeit der Lymphknotenmetastasierung
in diesem Stadium ist <4%. Diese limitierte Chirurgie kann
endoskopisch oder laparoskopisch durchgeführt werden. Das
Problem liegt hier nach wie vor beim EUS, der nicht mit der
nötigen Sicherheit zwischen Befall der Mukosa und Submukosa
differenzieren kann.
Deshalb sollte auch bei Patienten mit Magenkarzinom im
Stadium IA immer die Exzision der gesamten Magenwand
angestrebt werden, um nach der lokalen Resektion die
Tiefeninfiltration histologisch verifizieren zu können.
Stadium IB, II und IIIA
Die Lymphknotenmetastasierung wird in diesen Tumorstadien
bereits zu einem hohen Prozentsatz erwartet. Diese Gruppe profitiert
am meisten von der radikalen Chirurgie, vor allen Dingen
von der erweiterten D2-Lymphadenektomie. In diesen Stadien ist
es möglich, eine R0-Resektion sowohl des Primärtumors als auch
seines Lymphabflussgebietes mit ausreichenden Sicherheitsabständen
zu erreichen.
Stadium IIIB und IV
Die dritte Behandlungsgruppe umfasst die lokal weit fortgeschrittenen
Magenkarzinome, die oft schon fernmetastasiert
sind. In dieser Situation kann eine komplette Entfernung des
Tumors durch eine chirurgische Resektion nicht mehr erreicht
werden. praktisch immer bleibt mikroskopisch oder makroskopisch
Re sidualtumor in situ. Die belastende Operation ist dann
nur pal liativ und verbessert die Prognose des Patienten nicht.
Hier sind flankierende chemotherapeutische Maßnahmen besonders
wichtig.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die primäre Resektion
und LA im Stadium IB, II und III die Therapie der Wahl
ist. Neoadjuvante Therapiekonzepte sollten bei Tumoren des
Stadiums IIIb und IV angewandt werden. Diese Prinzipien treffen
auf Tumoren jeder Lokalisation zu. Der Bereich, in dem die
Operation sinnvoll in der Therapie des Magenkarzinoms eingesetzt
werden kann, wird als »chirurgisches Fenster« bezeichnet
(⊡ Abb. 37.9).
37.4.3 Chirurgische Strategien
Limitierte Chirurgie im Tumorstadium IA
Der entscheidende Punkt im Entscheidungsprozess für oder gegen
die limitierte Chirurgie ist die präoperative Differenzierung
zwischen Mukosa- und Submukosakarzinom. Diese Information
ist nur durch den endoluminalen Ultraschall zu erreichen. Die
endosonographische Entscheidung zwischen Mukosa- und Submukosakarzinom
ist jedoch schwierig. In einer Studie von Yanai
et al. (1997) wurde von einer Genauigkeit von 72% für die En-
⊡ Tabelle 37.8. R0-Resektionen in Abhängigkeit der pT- und
pN-Kategorie, Daten der deutschen Magenkarzinomstudie.
(Roder et al. 1993)
Kategorie R0-Resektion
[%]
pT1 98,2
pT2 86,7
pT3 59,7
pT4 40,6
pN0 95,6
pN1 74,7
pN2 60,2
Limitierte
Chirurgie
Chirurgisches Fenster
Stadium
0 I II III IV
Radikale
Chirurgie
Multimodale
Therapie
A B A B
D1 D2 D3/4 LA
⊡ Abb. 37.9. Tumorstadien, in denen durch die Gastrektomie mit erweiterter
Lymphadenektomie (D2) die Prognose signifikant verbessert
werden kann, »chirurgisches Fenster«
461 37
doskopie und nur 65% für den EUS berichtet. Yasuda (1995) berichtete
über eine Genauigkeit von 79,5 bzw. 72,7% (pT1a vs.
pT1b) in über 600 untersuchten Fällen. Die Inzidenz der Lymphknotenmetastasen
beim Magenfrühkarzinom ist abhängig von
der Tiefe der Infiltration, dem Grading, dem makroskopischen
Erscheinungsbild und dem Durchmesser des Tumors.
In einer japanischen Studie mit mehr als 5000 Patienten mit
Magenfrühkarzinom und totaler Gastrektomie mit D2-LA fand
sich bei gut differenzierten Mukosakarzinomen <30 mm Durchmesser
keine Lymphknotenmetastasierung (n=1230). Unabhängig
von der Tumorgröße fand sich bei keiner der 929 Läsionen
ohne Ulzeration eine Lymphknotenmetastasierung (Gotoda et al.
2000). Bei Karzinomen vom hervorstehenden Typ (I, IIA) mit
einem Durchmesser <20 mm und beim exkavierten Typ (IIC),
ebenfalls mit einem Durchmesser <20 mm finden sich Lymphknotenmetastasen
in weniger als 2%.
Es gibt drei Möglichkeiten der limitierten Behandlung des
Magenfrühkarzinoms:
▬ Lasertherapie,
▬ endoskopische Mukosaresektion und
▬ kombinierte endoskopisch-laparoskopische Magenwandresektion.
Nachteil der Lasertherapie ist, dass nach Mukosaablation kein
Resektat zur histopathologischen Aufarbeitung zur Verfügung
steht. Aus diesem Grund sollte diese Therapieform nur
bei Hochrisikopatienten oder in palliativen Situationen Anwendung
finden.
Nach endoskopischer Mukosaresektion ist die histologische Beurteilung
des Resektates möglich. Diese Technik ist jedoch nicht
in allen anatomischen Regionen anwendbar (Tani et al. 2001). In
einer Studie aus dem Jahre 1993 wird über eine Serie von 82 Patienten
mit 97 Tumoren berichtet, die endoskopisch reseziert
worden waren. Diese Gruppe wurde mit einer Gruppe von 27
Patienten nach offener Resektion verglichen. In den 5-JahresÜberlebenskurven
fanden sich keine Unterschiede (Tada et al.
1993).
Cave
Nach Mukosaablation muss eine Submukosainfiltration histopathologisch
sicher ausgeschlossen werden.
Wenn die Therapie der endoskopischen Mukosaresektion oder
Lasertherapie in Betracht gezogen werden sollte, sind folgende
Kriterien verpflichtend:
▬ Mukosatumor,
▬ <2 cm im Durchmesser,
▬ Wachstumstypen I, IIA, IIC und
▬ intestinaler Typ nach Laurén.
Das vielversprechendste Prinzip der lokalen Behandlung der Magenfrühkarzinome
ist die kombinierte endoskopisch-laparoskopische
Magenwandresektion, die »laparoscopic wedge resection«
(Ohgami et al. 1993). Bei dieser Operation wird nach endoskopischer
Einstellung des Tumors und »lifting« des Bezirks mit einem
Metallhaken ein Teil der Magenwand mit Hilfe des Endo-GIA in
toto reseziert, danach kann eine genaue histopathologische Aufarbeitung
erfolgen. Nach 5-jähriger Nachbeobachtungszeit berichten
Ohgami et al. (1999) von nur einer zusätzlichen Gastrektomie
und 2 intragastrischen Rezidiven nahe der Stapler-Linie.
Wenn ein Submukosakarzinom diagnostiziert wird, folgt die offene
Resektion. ⊡ Abb. 37.10 zeigt eine schematische Darstellung
der Methodik.
Chirurgie des fortgeschrittenen Magenkarzinoms
(Stadium IB, II, IIIA)
Verfahrenswahl
Die Auswahl des Operationsverfahrens bei Patienten mit Magenkarzinom
richtet sich v. a. nach der anatomischen Lokalisation
des Tumors. Basierend auf den Empfehlungen der UICC und der
Japanese Research Society for Gastric Cancer wird der Magen in
Drittel aufgeteilt. Obwohl die Grenzen zwischen diesen Dritteln
nicht exakt definiert sind, hat sich diese Unterscheidung als
äußerst hilfreich zur Festlegung der Resektionsgrenzen gezeigt
(⊡ Abb. 37.11). Wie bereits erwähnt, bestimmt auch der Wachstumstyp
der Tumoren das Ausmaß der Resektion. Die unterschiedlichen
Wachstumstypen nach Laurén definieren den minimal
nötigen Sicherheitsabstand.
⊡ Abb. 37.10. Laparoscopic wedge resection
Transhiatal erweiterte Gastrektomie
D2-LN-Dissektion +
pankreaserhaltende Splenektomie (LN 10) +
retroperitoneale LN paraaortal links (LN 16)
Totale Gastrektomie
D2-LN-Dissektion
LN 1-6 Kompartement I +
LN 7-12 Kompartement II
Subtotale Gastrektomie
D2-LN-Dissektion +
Lig. hepatoduodenale (LN 12) +
retroduodenal (LN 13) +
paraaortal rechts (LN 16)
M
C
A
⊡ Abb. 37.11. Operative Verfahrenswahl beim Magenkarzinom bei
unterschiedlicher Lokalisation. C Kardiaregion, M mittleres Drittel,
A Antrum. Gastric Cancer Association
37.4 · Operative Therapie
462 Kapitel 37 · Magenkarzinom
37
Bei der Planung des extraluminalen Ausmaßes der Resektion
sind evtl. befallene LK ein weiterer zu bedenkender Parameter.
Die Wahrscheinlichkeit der Lymphknotenmetastasierung ist abhängig
vom T-Stadium. ⊡ Abb. 37.12 zeigt die Definition der LKStationen
gemäß der Japanese Gastric Cancer Association.
Magenkarzinome des distalen Drittels. Nach den Ergebnissen
einer Studie der Italian Gastrointestinal Tumor Study Group ist
bei Tumoren des distalen Drittels – unabhängig von der Laurén-
Klassifikation – die subtotale Gastrektomie die Methode der
Wahl. In dieser Studie wurden 315 Patienten in die Gruppe
»subtotale Gastrektomie« und 303 in die Gruppe »totale Gastrektomie
« randomisiert. Einschlusskriterien waren Tumoren mit
proximalem Ende wenigstens 6 cm von der Kardia und keine
Fernmetastasierung. Bei beiden Operationsverfahren wurde eine
D2-LA durchgeführt. Das 5-Jahresüberleben war 65,3% für die
Gruppe nach subtotaler und 62,4% für die nach totaler Gastrektomie
(Bozzetti et al. 1999).
Wie bei den Magenkarzinomen anderer Lokalisation ist die
D2-Lymphknotendissektion die Methode der Wahl. Bei Patienten
mit pylorusnahen Tumoren muss die Lymphknotendissektion
die LK-Stationen 12 (LK des Lig. hepatoduodenale), 13 (retroduodenale
LK) und 16 (paraaortale LK rechts) mit umfassen.
Karzinome des mittleren Magendrittels. Bei diesen Tumoren
wird eine totale Gastrektomie und eine D2-LA durchgeführt. Die
D2-Resektion umfasst die LK-Stationen 1–6 (Kompartiment 1)
und 7–11 (Kompartiment 2).
Magenkarzinome des proximalen Drittels. Bei diesen Tumoren
wird eine erweiterte Gastrektomie, die den distalen Ösophagus
mit umfasst, durchgeführt.
Um den oralen Resektionsrand mit absoluter Sicherheit festzulegen,
ist hier eine intraoperative Schnellschnittdiagnostik
zu empfehlen.
Die D2-Lymphknotendissektion ist Standard. Die Dissektion
der LK-Stationen 10 und 11 wird am besten durch die sog.
»pancreas preserving splenectomy« erreicht, die wenig komplikationsbeladen
ist (Maruyama et al. 1987). Die retroperitoneale,
paraaortale LA links bis zur Nierenvene (LK-Station 16)
ist erforderlich, um den retroperitonealen Lymphabflussweg
von der Hinterrand des Fundus und der Kardia mit zu erfassen.
Dieser Lymphabfluss läuft entlang der großen retroperitonealen
Gefäße zur linken Nebenniere und zum linken Nierenhilus
(⊡ Abb. 37.13).
Chirurgie in der palliativen Situation
Wenn man die epidemiologischen Faktoren der Patienten mit
Magenkarzinom in Deutschland und Nordamerika analysiert,
haben mehr als 60% der Patienten einen lokal fortgeschrittenen
Tumor zum Zeitpunkt der Diagnosestellung (Siewert et al. 1997).
In diesem Fall sind folgende therapeutische Optionen vorhanden:
110
111
11
19
11
18
20
13
8p
12
16
2
1
4sa
10
3 10
3
7
9
4sb
4sb
4d
4d
14a
16
16 16
9 9
12
12 5 8a
14v
4d
6
17
15
13
⊡ Abb. 37.12.
Klassifikation und
Nummerierung der
LK-Stationen gemäß der
japanischen Klassifikation
463 37
▬ präoperative Chemotherapie mit nachfolgender Resektion
im Falle eines Ansprechen des Tumors auf die Therapie,
▬ alleinige palliative Therapie der Tumorkomplikationen, um
die Lebensqualität des Patienten vorübergehend zu verbessern
(z. B. Gastroenterostomie bei Magenausgangsstenose,
Einlage eines Tubus bei Dysphagie oder Gastrektomie bei
akuter Blutung).
Ziel dieser palliativen Maßnahmen ist generell die Intervention
mit dem geringsten Risiko für den Patienten, ohne zu versuchen,
eine Reduktion der Tumormasse zu erreichen. Bei Blutungskomplikationen
können Laserkoagulation oder endoskopische Unterspritzung
versucht werden. Bei einer Tumorobstruktion in
Höhe der Kardia oder bei subkardialem Magenkarzinom kann
eine Passageöffnung durch eine Überbrückung mittels Stent erfolgen,
dabei haben sich die modernen Stents zunehmend bewährt,
auch im Fall eines Rezidivs (Jeong et al. 2004).
Cave
Eine chirurgische Intervention zur Beseitigung einer proximalen
Obstruktion sollte unter allen Umständen vermieden
werden, sie ist sehr risikoreich und von unbestimmten Wert
(Siewert et al. 1995b). Bei Patienten, die eine distale Magenobstruktion
aufweisen, wird generell eine Gastroenterostomie
angelegt.
Ein sehr schwieriges Problem ist bei Patienten vorhanden, die
aufgrund einer Peritonealkarzinose einen Dünn- oder Dickdarmileus
entwickeln. In diesen prognostisch hoffnungslosen
Situationen ist ein chirurgischer Ansatz mit einem akzeptablen
Risiko nicht möglich (außer bei Patienten mit isolierter Stenose).
Die Behandlung sollte rein konservativ durch die parenterale Ernährung
erfolgen.
37.5 Operationstechnik
37.5.1 Lymphadenektomie
Die D1-LA wird definiert durch die Entfernung der LK-Stationen
1–6 an der großen und kleinen Kurvatur. In Japan und in den
Zentren der westlichen Welt wird jedoch die D2-LA als Standardtherapie
angesehen (LK-Stationen 1–6 und 7–11). Für Tumoren
des mittleren Magendrittels gilt diese Regel ohne Ausnahme. Für
Tumoren des proximalen oder distalen Drittels wird die D2-LA
um die bereits erwähnten LK-Stationen erweitert, je nach der
Lokalisation des Tumors (D2 plus bzw. D3- oder D4-Lymphknotendissektion).
In westlichen Ländern wird die LA in »En-bloc-Technik«
durchgeführt. Dabei wird das lymphatische Gewebe en bloc von
der Peripherie zum Zentrum des Tumors entfernt (zentripetal).
Die LK sind damit sämtlich am Resektionspräparat vorhanden
und der Pathologe ist in der Lage, die anatomische Lokalisation
der LK zu identifizieren, sie zu dissezieren und zu zählen. Nur
durch diese En-bloc-Technik können alle wichtigen Prognosefaktoren,
die das Resektat bietet, evaluiert werden. In den japanischen
Zentren werden die LK durch den operierenden Chirurgen
selbst disseziert und entsprechend ihrer Lokalisation klassifiziert
und erst dann dem Pathologen zur Befundung zugesandt.
Zur Frage des Ausmaßes der Lymphadenektomie
Die internationale chirurgische Kontroverse über das notwendige
Ausmaß der LA ist in den letzten Jahren beendet worden.
Auch nach beiden randomisierten Studien (D1- vs. D2-LA), die
keinen Überlebensvorteil der Gesamtkollektive berichten konnten,
gilt in Japan und in den westlichen Zentren die D2-LA
als Standard (Bonenkamp et al. 1999; Brennan 1999; Cuschieri
et al. 1999).
Nichtrandomisierte Studien ergaben keine Unterschiede hinsichtlich
Mortalität und Morbidität (⊡ Tabelle 37.9). Demgegenüber
zeigt sich eine signifikant erhöhte Morbidität und Mortalität
für die D2-LA in beiden prospektiv randomisierten Studien aus
⊡ Abb. 37.13a,b. Retroperitonealer Lymphabfluss der Kardia
a b
37.5 · Operationstechnik
464 Kapitel 37 · Magenkarzinom
37
den Niederlanden und aus Großbritannien (⊡ Tabelle 37.10). Die
Mortalität in der D2-LA Gruppe betrug in der niederländischen
Studie 10% (32 von 390), in der MRC-Studie 13% (26 von 200).
Allein durch diese hohe postoperative Mortalität können eventuelle
Vorteile im Langzeitüberleben verschleiert werden.
Beide Studien beinhalten jedoch Probleme, die für die höhere
Mortalität nach D2-LA verantwortlich gemacht werden könnten:
Die hohen Komplikationsraten der D2-LA in beiden Studien
werden durch die höhere Anzahl von Splenektomien und
Pankreaslinksresektionen in dieser Gruppe erklärt: DGCT (Dutch
Gastric Cancer Trial): 32 vs. 3% (D1), MRC: 56,5 vs. 4%. Dadurch
kam es häufig zu Pankreasfisteln mit septischen Komplikationen,
die ursächlich für die hohe postoperative Morbidität
und Letalität waren. Deshalb sollten die linksseitige Pankreasresektion
und/oder die Splenektomie nach Möglichkeit vermieden
werden. In der deutschen Studie fand sich keine erhöhte postoperative
Komplikationsrate nach erweiterter LA (Siewert et al.
1998). Auch in einer neueren, randomisierten Studie, welche
die D1-LA mit einer »modifizierten« D2-LA verglich (keine
Splenektomie oder Pankreaslinksresektion), fand sich ebenfalls
keine erhöhte Morbidität oder Letalität (Edwards et al. 2004).
Ferner scheint der Trainingsstandard der operierenden Chirurgen
für dieses Operationsverfahren nicht ausreichend ge wesen
zu sein. In der britischen Studie wurden 200 D2-Lymphadenektomien
in 31 Zentren durchgeführt, dies sind durchschnittlich 6
D2-LA pro Zentrum in 7 Jahren, d. h. nicht einmal eine pro Jahr.
In der niederländische Studie wurden 331 D2-LA von 82 Chirurgen
in 51 Zentren durchgeführt. Dies sind 4 Operationen pro
Chirurg in 4 Jahren.
Die Quantität der LA lässt sich an der Zahl der entfernten LK
ablesen. Entsprechend den Vorgaben der Japanese Gastric Cancer
Association (1981 und 1998) und aufgrund der Ergebnisse
der deutschen Studie sollten mindestens 25 LK entfernt werden,
um das Ziel der D2-Dissektion zu sichern (Japanese Gastric Cancer
Association 1998; Siewert et al. 1998). Die mediane Anzahl
der entfernten LK betrug im MRC-Trial nach D1-Resektion aber
nur 13, nach D2 Resektion auch nur 17 LK. Von den 375 Patienten
(von 400 Studienpatienten), bei denen Informationen zur LA
erhältlich waren, waren bei 310 (165 nach D1- und 145 nach D2-
LA) weniger als 26 LK entfernt worden, nur bei 65 Patienten
mehr als 26 (19 Patienten D1- und 46 D2-LA). Damit wurde nur
bei 23% der Patienten das eigentliche Studienziel der D2-LA erreicht
(Cuschieri et al. 1999).
In der niederländischen Studie wird dieses Problem mit
»non-compliance« (inadäquate Dissektion) und »contamination«
(Entfernung von offensichtlich befallenen LK außerhalb des vorgegebenen
LA-Levels) erklärt. Wenn man die Daten zusammenfasst
zeigt sich, dass nur bei 49% der niederländischen Patienten
das Ziel der D2-LA erreicht wurde (Bonenkamp et al. 1998). In
einer früheren Untersuchung der gleichen Arbeitsgruppe fand
sich »non-compliance« bei der D2-Dissektion zu 84% und »contamination
« innerhalb der D1-Gruppe zu 48%. Dieses würde
eher einer gemischten D1-/D2-Dissektion entsprechen (Bunt et
al. 1994).
⊡ Tabelle 37.9. Vergleich der Morbidität und Mortalität der D2-Lymphadenektomie vs. D1-Lymphadenektomie in ausgewählten (n>200),
nichtrandomisierten Studien
Autor Jahr Patienten
(n)
Morbidität
[%]
Mortalität
[%]
D1 D2 D1 D2 D1 D2
Pacelli et al. 1993 163 157 22 28 7,4 3,8
Roder et al. 1993 558 1096 29 31 5,5 5
Gall u. Hermanek 1993 383 162 32 31 6,8 9,3
Gesamt 1104 1415 29 31 6 5,3*
* Nicht signifikant.
⊡ Tabelle 37.10. Morbidität und Mortalität der D2-LA vs. D1-LA in prospektiv randomisierten Studien
Autor Jahr Patienten
(n)
Morbidität
[%]
Mortalität
[%]
5-Jahres-Überlebensrate
[%]
D1 D2 D1 D2 D1 D2 D1 D2
Dent et al. 1988 22 32 15 30 0 0 Keine Angabe
Bonenkamp et al. 1999 380 331 25 43 4 10 45 47
Cuschieri et al. 1999 200 200 28 46 6,5 13 35 33
Gesamt 602 552 26 44 4,7 10,5* 41,5 42
* Statistisch signifikant.
465 37
Entscheidend aber ist die Frage, ob durch die radikalere D2-
LA eine Prognoseverbesserung für den einzelnen Patienten erreicht
werden kann oder ob durch die erweiterte Resektion unnötigerweise
die postoperative Morbidität und Mortalität erhöht
wird. Nach D2-Lymphadenektomie findet sich in der deutschen
Magenkarzinomstudie ein signifikanter Überlebensvorteil für Patienten
in den Tumorstadien II und IIIA. Diese Vorteile zeigen
sich nicht, wenn das Gesamtkollektiv nach kompletter Resektion
analysiert wird (Siewert et al. 1998; ⊡ Abb. 37.15, 37.16). Neben
dem Argument der nicht gerechtfertigten Subgruppenanalyse,
war ein Hauptargument gegen dieses Ergebnis, dass es sich um
das rein statistisches Phänomen der »stage migration« (Will-
Rogers-Phänomen) handeln könnte (Feinstein et al. 1985). In
einer weiteren Analyse des Kollektivs der deutschen Magenkarzinomstudie
zeigt sich jedoch, dass sich ab 25 entfernten LK die
Zahl der metastatisch befallenen LK und damit das Tumorstadium
nicht mehr ändert. Damit müssen für eine suffiziente D2-
Resektion mindestens 25 LK entfernt werden um eine »stage
⊡ Abb. 37.14. Absetzen des Duodenums
über dem TA55-Stapler und
Beginn der Lymphadenektomie
37.5 · Operationstechnik
0
0
Kumulatives Überleben
Zeit [Monate]
0,2
0,4
0,6
0,8
1,0
24 48 72 96 120
<15 (n = 174)
16-25 (n = 205)
>25 (n = 803)
Anzahl der entf. LN
⊡ Abb. 37.15. 10-Jahres-Überleben nach R0-Resektion aller komplett
resezierten Patienten (n=1182, Daten der deutschen Magenkarzinomstudie).
Im Gesamtkollektiv werden Unterschiede zwischen der eingeschränkten
(D1, <25 resezierte LK) zur erweiterten Lymphadenektomie
(D2, >25 resezierte LK) nicht evident
0
0
Kumulatives Überleben
Zeit [Monate]
0,2
0,4
0,6
0,8
1,0
24 48 72 96 120
<15 (n = 38)
p < 0,001
16-25 (n = 38)
>25 (n = 129)
Anzahl der entf. LN
⊡ Abb. 37.16. 10-Jahres-Überleben nach R0-Resektion im Stadium II
(n=205, Daten der deutschen Magenkarzinomstudie), signifikant unterschiedliches
Überleben nach D1- vs. D2-Lymphadenektomie
466 Kapitel 37 · Magenkarzinom
37
migration« ausschließen zu können; dies entspricht auch den japanischen
Regeln und wird zudem durch anatomische Studien
unterstützt (Wagner et al. 1991). Die UICC legt die Mindestzahl
zu entfernender LK bei 15 fest, um ein zuverlässiges Staging zu
erreichen.
In den 11-Jahres-Überlebensdaten der niederländischen Studie
findet sich ebenfalls kein Überlebensvorteil für das Gesamtkollektiv
(Hartgrink et al. 2004). Wenn jedoch die postoperativen
Todesfälle ausgeschlossen werden, findet sich ein deutlicher
Trend (p=0,1) für einen Überlebensvorteil der D2-LA . Wenn die
einzelnen Stadien getrennt betrachtet werden, finden sich Überlebensvorteile
nach D2-LA (Stadium II 23 vs. 37%, Stadium IIIA
4 vs. 22%), wegen der kleinen Gruppengröße sind sie jedoch statistisch
nicht signifikant. Werden Patienten mit Splenektomie
und Pankreaslinksresektion von der Analyse ausgeschlossen,
werden die Vorteile der D2-LA in den genannten Stadien signifikant.
In der MRC-Studie ist die Partiengruppe, die ausreichend
lymphadenektomiert wurde, zu klein, um eine aussagekräftige
Subgruppenanalyse durchführen zu können (Sendler et
al. 2002).
Es ist demnach belegt, dass es eine Gruppe von Patienten
gibt, die von der erweiterten D2-LA mit einem signifikanten
Überlebensvorteil profitieren. Dies sind v. a. die Patienten mit
einer in der Routinepathologie nicht erkennbaren oder gerade
begon nenen Lymphknotenmetastasierung. Grund für den Erfolg
der erweiterten D2-LA ist die inzwischen gut belegte Mikrometastasierung
in Lymphknoten, die inzwischen auch für
das Kompartiment 3 nachgewiesen wurde (Natsugoe et al.
1999; Siewert et al. 1996). Damit wird deutlich, dass bei proximalen
und distalen Tumoren ebenfalls das 3. Kompartiment
bei kurativer Intention lymphadenektomiert werden sollte.
Diese D3-LA ist bei genügender Erfahrung ohne zusätzliche
Morbidität durchführbar, wie japanische Studien und auch
eine aktuelle deutsche Analyse aufzeigen (Adachi et al. 1997;
Bittdorf et al. 2002). Auch die Richt linien des National Comprehensive
Cancer Network der USA fordern inzwischen die
D2-LA bei Magenkarzinomen ab dem Stadium Ib (http://www.
nccn.org).
Ein interessanter Aspekt der Intergroup/SWOG-Studie zur
adjuvanten Radio-/Chemo-Therapie ( s. unten) ist, dass durch
diese Studie die Wertigkeit der erweiterten LA in einer Analyse
von Hundahl et al. (2002) weiter untermauert worden ist. Die
Autoren berechneten die befallenen LK mit dem Maruyama-Programm
und konnten so zeigen, dass die Mehrzahl der Studienpatienten
nicht adäquat lymphadenektomiert worden ist. Dies
resultierte in einem signifikant schlechteren Überleben der Patienten
mit einem hohen sog. Maruyama-Index und eingeschränkter
Lymphadenektomie.
Die Bedeutung der Dissektion des Sentinel-Lymphknotens
(SLND) für das Magenkarzinom wird in Kap. 15 besprochen.
37.5.2 Pankreaslinksresektion und Splenektomie
Ausgehend von der Empfehlungen der Japanese Research Society
for the Study of Gastric Cancer (JRSGC) wurde lange Zeit im
Rahmen der D2-LA eine Pankreaslinksresektion mit Splenektomie
»en principe« propagiert. Die Resektion von Pankreasschwanz
und/oder Milz ist jedoch die wichtigste Ursache für erhöhte
postoperative Morbidität und Mortalität (Kitamura et al.
1999; Kodera et al. 1997). Auch die Ergebnisse der beiden randomisierten
Studien haben eindeutig aufgezeigt, dass die Pankreaslinksresektion
und auch die alleinige Splenektomie eigenständige
negativer Prognosefaktoren sind (Cuschieri et al. 1999; Sasako
1997).
Aus den Ergebnissen der zitierten Studien geht eindeutig
hervor, dass zumindest eine Pankreaslinksresektion bei der
Gastrektomie – außer bei direkter Infiltration des Tumors –
zu vermeiden ist.
Es bleibt die Frage, ob im Rahmen der D2-LA die Milz mit entfernt
werden sollte. Das Argument für die Splenektomie ist die
Inzidenz von Lymphknotenmetastasen entlang der peripheren
A. lienalis und im Milzhilus. In der MRC-Studie waren diese LK
befallen bei 25% der Patienten mit im mittleren und proximalen
Magendrittel lokalisierten Karzinomen [LK-Stationen 10 (Milzhilus)
und 11 (A. lienalis)]. Außer in randomisierten Studien
wurde auch durch mehrere retrospektive Analysen belegt, dass
die Splenektomie die Prognose nicht verbessert (Lee et al. 2001;
Maehara et al. 1991). In einer britischen und einer amerikanischen
Analyse fand sich wie im MRC-Trial ein negativer Einfluss
der Splenektomie auf das Überleben (Griffith et al. 1995; Wanebo
et al. 1997). Erklärt wird dieser negative Effekt durch die erhöhte
postoperative Morbidität (die Splenektomie ist ein unabhängiger
negativer Prognosefaktor) und Letalität sowie durch unspezifische
Effekte auf die humorale Immunantwort; so ist die T-Zell-
Funktion nach Splenektomie signifikant vermindert (Okuno et
al. 1999).
Andererseits können die LK an der A. lienalis unter Erhalt
von Pankreas und Milz mit entsprechender Erfahrung disseziert
werden, bei LK im Milzhilus ist dies allerdings schwierig. Mönig
et al. (2001) untersuchten bei 112 Patienten mit proximalen Magenkarzinomen
die Inzidenz der LK-Metastasen im Milzhilus:
Die Inzidenz betrug 9,8%, diese fanden sich jedoch nur bei lokal
fortgeschrittenen Tumoren (Stadium IIIb/IV).
Aus den genannten Fakten ergibt sich, dass die Splenektomie
»en principe« bei der Gastrektomie mit D2-Lymphadenektomie
nicht empfehlenswert ist. Es scheint, dass durch die erhöhte Morbidität
und durch die verminderte humorale Immunität mögliche
Vorteile im Überleben der Patienten, durch die verbesserte
Lymphadenektomie, konterkariert werden.
Die Splenektomie sollte nur »de necessitate« durchgeführt
werden, d. h. bei direkter Ausdehnung der Tumors auf Milz
bzw. Pankreas oder bei eindeutig befallenen LK im Milzhilus.
Dabei sollte die Technik der »pancreas preserving splenectomy
« angewandt werden (Furukawa et al. 2000; Maruyama et
al. 1995).
37.5.3 Subtotale Gastrektomie
Das Ausmaß der Resektion bei der subtotalen Gastrektomie umfasst
ungefähr 80% des gesamten Magens. Die Resektion an der
kleinen Kurvatur sollte mindestens bis 2 cm unterhalb der anatomischen
Kardia reichen. Die Resektion an der großen Kurvatur
muss über die rechte gastroepiploischen Arterie hinaus ausge467
37
führt werden. Der verbleibende kleine Fundus wird durch die
Aa. gastricae brevis des Milzhilus versorgt.
Nach aboral muss die Resektion so weit als möglich über den
Pylorus hinaus ausgeführt werden. Auf jeden Fall sollte die
Dissektion des Duodenums bis hinter die Grenze der A. gastroduodenalis,
d. h. bis in das extraperitoneale Duodenum hin
durchgeführt werden.
Der Duodenalstumpf wird mit einen Stapler verschlossen. Der
Verschluss des verbleibenden proximalen Magens sollte während
der Operation ebenfalls durch einen Stapler erfolgen.
Dieses verhindert eine Kontamination des Operationssitus
(⊡ Abb. 37.14).
Die extraluminale Resektion und die LA müssen genau so radikal
sein wie bei der totalen Gastrektomie. Die D2-LA wird mit
Ausnahme der LK-Station 2 (links der Kardia) vollständig durchgeführt.
An der kleinen Kurvatur muss die LK-Station 1 ebenfalls
mit disseziert werden. Um die LA in der korrekten Schicht (d. h.
Adventitia der Arterien) durchführen zu können, sollte die Dissektion
entlang der A. gastroduodenalis begonnen werden. Diese
wurde bereits vor dem Verschluss des Duodenalstumpfes
aufgesucht und markiert.
Von dieser Position aus ist es einfach, die korrekte Dissektionsschicht
auf der A. hepatica communis zu finden. Dies ist der Beginn
der Lymphadenektomie. Zur Peripherie hin sollte die LA bis
zur Bifurkation der A. hepatica durchgeführt werden. Die A. gastrica
dextra wird an ihrem Ursprung ligiert.
Zusätzlich zu der LA der Kompartimente 1 und 2 wird beim distalen
Magenkarzinom die LA der LK-Station 13 und der rechten
paraaortalen und parakavalen LK (LK-Station 16) durchgeführt.
Dies erfordert eine suffiziente Mobilisation des Duodenums nach
Kocher. Bei distalen Magenkarzinomen repräsentiert die LK-Station
13 den Grenzlymphknoten. Dieser LK wird aufgesucht, disseziert,
markiert und durch das Foramen Winslowi hinter dem
Lig. hepatoduodenale durchgeschoben. Der linke Zeigefinger
des Chirurgen wird in das Foramen Winslowi eingeführt, um die
V. portae kopfwärts und anterior zum Operateur zu exponieren.
Daraufhin kann die weitere LA auf der Adventitia der V. portae
und der A. hepatica communis durchgeführt werden. Am medianen
Resektionsrand wird die V. gastrica sinistra (V. coronaria
ventriculi) ligiert. Gleiches geschieht mit der A. gastrica sinistra,
die an ihrem Ursprung radikulär abgesetzt wird.
Die Dissektion im Retroperitonealraum wird weiterhin bis zu
den Crura diaphragmaticae durchgeführt. Dabei werden die linken
und die rechten Aa. phrenicae ligiert. Nach Durchtrennung
des N. vagus kann das gesamte Lymph- und Fettgewebe nach
aboral gehoben werden.
Die weitere Dissektion entlang der kleinen Kurvatur wird entsprechend
der Vagotomie durchgeführt: Die anterioren und
posterioren Blätter des Lig. hepatogastricum werden Schritt
für Schritt geteilt. Dies erlaubt die komplette Resektion der LK
entlang der kleinen Kurvatur. Die Resektion der LK-Station 11
wird am Oberrand des Pankreas hin zum Milzhilus durchgeführt.
Cave
Die Resektion der LK-Station 11 muss mit großer Vorsicht
durchgeführt werden, da eine akzidentelle Splenektomie die
Blutversorgung des Magenstumpfes kompromittieren würde.
Die Resektion des großen Netzes ist obligatorisch. Die Operationsschritte
bei der LA sind in ⊡ Abb. 37.17 schematisch dargestellt.
Vor der Rekonstruktion der Intestinalpassage werden die kleine
Kurvatur des Magenstumpfes und die Resektionslinie mit Ein zelknopfnähten
übernäht. Nur ein kleiner Abschnitt der Resek tionslinie
hin zur großen Kurvatur wird für die Anastomose benötigt.
Die Rekonstruktion kann mit einer retro- oder antekolischen
Jejunalschlinge geschehen. Die Gastroenterostomie sollte in
a b
c d
e
f g
⊡ Abb. 37.17a–g. Lymphadenektomie bei der totalen Gastrektomie
37.5 · Operationstechnik
▼
468 Kapitel 37 · Magenkarzinom
37
isoperistaltischer Richtung ausgeführt werden. Analysen der
Lebensqualität nach totaler und subtotaler Gastrektomie haben
gezeigt, dass ein alkalischer Reflux eine häufige Folge der Endzu-
Seit-Gastrojejunostomie ist (trotz Braun-Enteroanastomose!;
Roder et al. 1996). Es ist deshalb die Rekonstruktion nach Roux-Y
zu empfehlen.
37.5.4 Totale Gastrektomie
Die totale Gastrektomie wird generell mit der systematischen LA
der Kompartimente 1 und 2 durchgeführt. Je nach Lage des Tumors
kann eine Ausweitung der LA indiziert sein.
Nach Analyse der Lebensqualität nach totalen Gastrektomie
empfehlen wir die Rekonstruktion mit einem Pouch. Da die deutlichen
Vorteile der Pouch-Rekonstruktion nur bei Langzeitüberlebenden
signifikant sind, muss die Prognose des Patienten bei
der Rekonstruktion mit in Betracht gezogen werden. Wenn sie
gut ist, empfehlen wir den Pouch, bei schlechter Prognose sollte
die einfachste Rekonstruktion (Ösophagojejunostomie Roux-Y)
durchgeführt werden.
Zum Bilden eines Pouches ist die Seit-zu-Seit-Anastomose über
eine Strecke von ca. 10–15 cm zwischen aufsteigendem und absteigendem
Schenkel der ersten Jejunalschlinge gewöhnlich
ausreichend (Hunt-Rodino-Pouch).
Dem Pouch kann eine Jejunoplicatio hinzugefügt werden
(Siewert et al. 1973; Siewert u. Schattenmann 1979). Es ist empfehlenswert,
eine Roux-Y-Aufteilung zum Pouch vorzunehmen,
um alkalischen Reflux in den Pouch und den distalen Ösophagus
zu vermeiden (Chin u. Espat 2003; ⊡ Abb. 37.18).
Die ösophagointestinale Anastomose wird mit einem Stapler
(CEA) durchgeführt. In kontrollierten Studien hat sich dieser Typ
der Rekonstruktion der manuellen Anastomose als überlegen
gezeigt (Siewert u. Böttcher 1992).
37.5.5 Erweiterte Gastrektomie
Die Gastrektomie kann folgendermaßen erweitert werden:
▬ oralwärts zum distalen Ösophagus,
▬ mit einer Splenektomie, die eine komplette Dissektion der
LK-Stationen 10 und 11 (»pancreas preserving splenectomy«)
einschließt und
▬ zur rechten Seite mit einer Resektion des Pankreaskopfes.
Oral erweiterte totale Gastrektomie
Das Ausmaß der Resektion des distalen Ösophagus hängt von der
individuellen Lage des Tumors ab. Eine unabdingbare Voraussetzung
für die Resektion des distalen Ösophagus ist eine weite
Öffnung des Hiatus ösophageus, die den Weg in das hintere Mediastinum
freigibt. Dieser Zugang erlaubt eine ungehinderte Dissektion
des distalen Ösophagus einschließlich des umgebenden
Lymph- und Fettgewebes und der periösophagealen LK (transhiatale,
partielle Ösophagektomie).
Die weite Öffnung des Hiatus erlaubt die übersichtliche Resektion
des Ösophagus fast bis zur Ebene der V. azygos. Nach Festlegung
der Resektionsränder, wenn nötig mit Hilfe von Schnellschnitten,
wird der Ösophagus abgesetzt.
Vor jeder weiteren Manipulation wird der Kopf des CEA in den
oralen Teil des Ösophagus eingebracht und befestigt.
Vom technischen und funktionelle Gesichtspunkt aus ist
in dieser Situation (intramediastinale Anastomose) die
Rekonstruk tion mit einem Pouch nicht sinnvoll: Er würde
partiell im Thorax liegen und könnte nicht als Reservoir funktionieren.
Die Rekonstruktion geschieht durch eine Endzu-
Seit-Ösophagojejunostomie und eine distale End-zu-Seit-
Einpflanzung der zuführenden Schlinge in der Roux-YTechnik.
Der Abstand zwischen der ösophagointestinalen Anastomose
und der End-zu-Seit-Anastomose sollte mindestens 40–50 cm
betragen. Die Anastomose zwischen dem Ösophagus wird in
der »Krückstock-Technik« durchgeführt. Der CEA wird durch den
eröffneten Jejunumschenkel eingeführt, der Dorn wird durch
die Darmwand durchgeführt und dann mit dem Kopf des Staplers
verbunden.
Eine ausreichende Blutversorgung der Jejunalschlinge ist essentiell
für eine sichere Anastomose. Um die Blutversorgung
sicherzustellen, ist es notwendig, die Gefäßversorgung des
Jejunums mit Hilfe der Diaphanoskopie zu beurteilen, und da-
▼
⊡ Abb. 37.18. Rekonstruktion der Intestinalpassage mittels Pouch:
Ösophagojejunoplikatio mit Roux-Y-Ableitung
469 37
nach eine geeignete Schlinge auszusuchen. Unter diesen
Umständen ist die Anastomoseninsuffizienz eine sehr seltene
Komplikation.
Der noch offene Teil der interponierten Jejunumschlinge wird
mit einem Linear-Stapler (TEA) verschlossen und übernäht.
Links erweiterte Gastrektomie
Cave
Die einzige Indikation zur Resektion des Pankreasschwanzes
ist der direkte Einbruch eines Tumors der hinteren Magenwand
in das Pankreas. In allen anderen Situationen sollte die
»pancreas-preserving-splenectomy« durchgeführt werden.
Bei diesem Vorgehen wird die A. lienalis 2–3 cm peripher des
Truncus coeliacus und die V. lienalis im Milzhilus isoliert ligiert.
Das gesamte vaskuläre und lymphatische Bündel kann dann
vom Oberrand des Pankreas disseziert werden (⊡ Abb. 37.19).
Die Blutversorgung des Pankreasschwanzes wird durch retropankreatische
und intrapankreatische Gefäße sicher gestellt.
Die Dissektion wird bis zum Milzhilus fortgeführt
und mit der Splenektomie abgeschlossen. Lymphgefäße
und Milz werden en-bloc mit dem Magenresektat entfernt.
Am Ende dieser Dissektion kann der Schwanz des Pankreas
mobilisiert und nach rechts rotiert werden. Dies erlaubt die Entfernung
der links paraaortal gelegenen LK im retroperitonealen
Dreieck zwischen Aorta, linken Nierenhilus, linke Nebenniere
und Zwerchfell. In diesem Zusammenhang kann ebenfalls die
linke Nebenniere mit entfernt werden.
Die Rekonstruktion nach dieser Resektion entspricht der der
totalen Gastrektomie.
Left upper abdominal evisceration
Diese Operation entspricht der links erweiterten Gastrektomie
und schließt eine linksseitige Pankreatektomie und manchmal
die Resektion der linken Kolonflexur mit ein. Auf jeden Fall muss
eine linksseitige Adrenalektomie durchgeführt werden.
Cave
Diese Operation ist nur vertretbar, wenn dadurch eine
R0-Resektion erreicht werden kann.
Rechtsseitig erweiterte Gastrektomie
Die Pankreaskopfresektion als eine Erweiterung der totalen
und subtotalen Gastrektomie ist selten indiziert. Falls sich in
diesem Gebiet Lymphknotenmetastasen entwickelt haben oder
der Tumor direkt in den Pankreaskopf eingebrochen ist, wird
die Prognose des Patienten durch diese Operation kaum verbessert.
Cave
Diese Operation ist nur dann indiziert, wenn eine R0-Resektion
erreicht werden kann, für ein palliatives Vorgehen birgt
sie zu viele Risiken.
Die Technik entspricht weitestgehend der Operation nach Kausch-
Whipple.
37.6 Morbidität und Mortalität
37.6.1 Frühkomplikationen
Eine typische frühe Komplikation ist die Anastomoseninsuffizienz.
Dabei ist eine Leckage der ösophagointestinalen Anastomose
gefährlicher als die der Gastroenterostomie. Insuffizienzen
des Duodenalstumpfes sind in der Magentumorchirurgie eher
selten. Die LA kann zu lymphatischen Fisteln und Lymphozelen
führen oder zu einer pankreatischen Fisteln, wenn die Kapsel des
Pankreas verletzt worden ist. Alle diese Komplikationen können
zu einer Infektion des Operationssitus führen und müssen als
septische Komplikationen angesehen werden. Revisionsoperationen
sind trotzdem selten notwendig. Um die Komplikation zu
beherrschen, ist meistens ist die adäquate Drainage ausreichend.
Flüssigkeitsansammlungen können sicher durch die CT lokalisiert
und drainiert werden. In seltenen Fällen kann jedoch ein
septischer Fokus zu einer Arrosion der großen Gefäße und zu
einer Blutung führen, dann muss sofort revidiert werden. Die
Mortalität der beschriebenen Operationen beim Magenkarzinom
ist in spezialisierten Zentren weit unter 5% und korreliert mit
dem Ausmaß der Resektion (⊡ Tabelle 37.11).
Für die D2-LA bedarf es einer besonderen chirurgischen
Expertise. Sie sollte deshalb nur in erfahrenen Kliniken (»highvolume
hospital«) durchgeführt werden. Der Allgemeinzustand
des Patienten und das Ausmaß der Erfahrung des Krankenhauses
(nicht allein die des Chirurgen, sondern auch seines Umfeldes,
wie z. B. interventionelle Radiologie oder intensivmedizinische
Kapazitäten) sind ganz entscheidende Faktoren im postoperativen
Verlauf (⊡ Abb. 37.20, Tabelle 37.12, 37.13), was durch aktuelle
epidemiologische Studien aus den USA weiter untermauert
wird ( s. Abschn. 37.1.4).
⊡ Abb. 37.19. Links erweiterte Gastrektomie: »pancreas preserving
splenectomy«
37.6 · Morbidität und Mortalität
470 Kapitel 37 · Magenkarzinom
37
37.6.2 Spätkomplikationen
Seit Einführung der Roux-Y-Rekonstruktionstechnik mit Ableitung
des Duodenalinhaltes ist die alkalische Refluxösophagitis als
Spätkomplikation der Gastrektomie verschwunden. Das Dumping-
Syndrom scheint nach totaler Gastrektomie seltener zu sein
als nach subtotaler, es kann sehr belastend sein, die Symptome
lassen sich doch fast immer konservativ beherrschen. Die Rolle
der Nahrungspassage durch das Duodenum ist nach wie vor kontrovers:
Nach Labordaten hat die Duodenalpassage der Nahrung
theoretische Vorteile (verbesserte Resorption von Glukose, Eisen
und Kalzium), die jedoch nicht unbedingt zu einer verbesserten
Lebensqualität führen und deshalb von umstrittener klinischer
Relevanz sind. Evidenzbasierte Studien, welche die verschie denen
Verfahren der Rekonstruktion miteinander an genügend großen
Kollektiven vergleichen, finden sich nicht (Chin u. Espat 2003).
Die Notwendigkeit kleiner Mahlzeiten nach Gastrektomie
kann deutlich durch die Konstruktion eines Pouches verringert
werden. Dieses führt meistens dazu, dass der Patient eine normale
Mahlzeitenfolge einnehmen kann. Die Gastrektomie wird immer
von einer pankreatointestinalen Asynchronie gefolgt sein,
was zu Resorptionsstörungen führen kann. Deshalb empfehlen
wir die Substitution von Pankreasenzymen nach Gastrektomie.
Die Vitamin-B12-Substitutionsbehandlung ist nach Gastrektomie
selbstverständlich.
Die Analyse der Lebensqualität nach Gastrektomie hat gezeigt,
dass sich die meisten Patienten sehr gut an die veränderte
Situation anpassen. ihr Körpergewicht bleibt jedoch gewöhnlich
immer 10–15% unter dem Idealgewicht. Unter den Patienten
nach Gastrektomie haben die mit einer Pouch-Rekonstruktion
die beste Lebensqualität. Diese werden von den Patienten mit
einer subtotalen Gastrektomie gefolgt. Am schlechtesten ist die
Lebensqualität nach einfacher Ösophagojejunostomie und Roux-
Y-Situation, besonders wenn die Anastomose im Thorax liegt.
Postoperative Komplikationen haben auch prognostische
Wirkung. Multivariate Analysen haben gezeigt, dass sie einen
direkten, unabhängigen, negativen Einfluss auf das Langzeit-
⊡ Tabelle 37.11. Morbidität und Mortalität nach Gastrektomie
in Abhängigkeit vom Resektionsausmaß
Resektionsausmaß
Insuffizienzen
[%]
Abszesse
[%]
Komplikationsrate
[%]
Mortalität
[%]
Subtotale Gastrektomie
GGCS
(n=382)
2,9 1,6 19,9 6
NSCT
(n=282)
– – 30,1 11
TU München
(n=188)
1,1 2,7 17,5 4,2
Totale Gastrektomie
GGCS
(n=787)
7,2 5,5 30 4,4
NSCT
(n=350)
– – 38,3 7,7
TU München
(n=307)
4,8 3,8 22,8 5,2
Erweiterte Gastrektomie
GGCS
(n=389)
12,3 4,9 38 5,7
TU München
(n=188)
7,8 7,5 32,9 6,9
⊡ Tabelle 37.12. Unabhängige Risikofaktoren (Morbidität)
nach Gastrektomie. (Daten der German Gastric Cancer Study,
Böttcher et al. 1994)
Faktor χ2 p
Begleiterkrankungen 26,74 0,0001
Resektionsausmaß 24,85 0,0001
Erfahrung der Klinik 20,08 0,0001
Alter des Patienten 4,58 0,032
Stratifizierung des Risikos nach dem χ2-Test.
⊡ Tabelle 37.13. Unabhängige Risikofaktoren (Mortalität)
nach Gastrektomie. (Daten der German Gastric Cancer Study)
Faktor χ2 p
Karnofsky-Index 32,06 0,0001
Begleiterkrankungen 26,74 0,0001
Lymphknotenfiliae 11,16 0,001
Tumordurchmesser 10,96 0,001
Erfahrung der Klinik 10,45 0,001
Alter des Patienten 4,97 0,026
0
0
Kumulatives Überleben
Zeit [Monate]
0,2
0,4
0,6
0,8
1,0
12 24 36 48 60
TUM (n = 100)
p < 0,05
GGCS (n = 202)
⊡ Abb. 37.20. Vergleich der 10-Jahres-Überlebensrate nach Gastrektomie
und erweiterter LK-Dissektion im Stadium II zwischen uni- und
mulitzentrischen Studien (TU München vs. GGCS deutsche Magenkarzinomstudie,
ohne Klinikum rechts der Isar)
471 37
überleben der Patienten mit Magenkarzinom haben (Siewert et
al. 1998). Dieses kann nicht nur durch die höhere postoperative
Mortalität erklärt werden, sondern wohl auch durch eine Modulation
des Immunsystems. Der Karnofsky-Index und die Erfahrung
des Chirurgen und seiner Klinik sind in multivariaten Analyse
als unabhängige Risikofaktoren für postoperative Morbidität
und Mortalität identifiziert worden (Siewert u. Sendler 1999).
37.7 Ergebnisse der Chirurgie
Die 5-Jahres-Überlebenskurven zeigen deutliche Unterschiede
zwischen Japan und der westlichen Hemisphäre, vor allen Dingen
für Patienten im Stadium II und IIIA (⊡ Tabelle 37.14). Während
die 5-Jahres-Überlebensraten für Patienten mit Stadium II oder
IIIA in den Vereinigten Staaten bei 30 und 15% liegen, liegen sie
in Deutschland bei 45 und 33% und in Japan bei 75 und 60%.
Durch eine unterschiedliche Epidemiologie allein können diese
Unterschiede nicht erklärt werden.
Deshalb werden die längeren Überlebenszeiten in Deutschland
im Vergleich zu den Vereinigten Staaten durch den radikaleren
chirurgischen Ansatz und v. a. durch die adäquate Lymphadenektomie,
die routinemäßig in den meisten deutschen Zentren
durchgeführt wird, erklärt.
Die Differenzen zwischen den japanischen Ergebnissen, denen
aus Nordamerika und Deutschland resultieren möglicherweise
im noch radikaleren chirurgischen Ansatz in der Magenkarzinomchirurgie
in Fernost (Nishi et al. 1993; Roder et al. 1993;
Wanebo et al. 1993). In diesem Fall müssen jedoch auch epidemiologische
und andere Faktoren in Betracht gezogen werden.
Die Verteilung der Tumorlokalisation, das Alter der Patienten
und die Wachstumsform der Tumoren differieren deutlich in den
japanischen und westlichen Untersuchungen. Weiterhin ist die
postoperative Chemotherapie ein Standardverfahren in Japan bei
Patienten im Stadium II und III. Auch zeigen die Überlebenskurven
von japanischen Zentren üblicherweise nur tumorbezogen
Verstorbene, die postoperative Mortalität oder das Versterben
aus anderen Gründen wird nicht eingeschlossen. Dies ist im deutlichen
Kontrast zu in westlichen Zentren erstellten Überlebenskurven,
die alle Verstorbenen in der Follow-up-Periode registrieren
(so verstarben beispielsweise 31% der Patienten der niederländischen
Studie nicht tumorbezogen). Die genannten Faktoren
verbieten einen generellen Vergleich zwischen den verschiedenen
Ländern. Interessant ist aber, dass nach Korrektur der epidemiologischen
Unterschiede in Subgruppen die Prognose von Patienten
mit Magenkarzinom in Japan und Deutschland direkt vergleichbar
ist (Bollschweiler et al. 1993).
37.8 Neoadjuvante Therapie bzw. adjuvante
und palliative Therapieprinzipien
Entgegen früheren Annahmen gilt das Magenkarzinom heute als
chemosensitive Erkrankung. Heilung ist durch Chemotherapie
allein allerdings nicht zu erzielen. Remissionsraten, bestimmt in
Phase-II- und Phase-III-Studien bei fortgeschrittener Erkrankung,
liegen mit modernen Therapieregimes bei ca. 40% (Ajani
2003; Webb 1997). Die Überlegenheit einer systemischen Chemotherapie
gegenüber einer rein supportiven Therapie beim
fortgeschrittenen Magenkarzinom konnte bereits im Laufe der
90er-Jahre eindeutig belegt werden (Glimelius et al. 1997; Murad
et al.1993; Pyrhonen et al. 1995). Die randomisierten Studien
weisen zwar eine limitierte Fallzahl auf, sind aber im Ergebnis
konsistent. Glimelius et al. (1997) wiesen neben längeren Überlebenszeiten
auch eine bessere Lebensqualität nach.
Angesichts der effektiveren Möglichkeiten einer systemischen
Therapie liegt es nahe, dass neoadjuvante oder adjuvante
Chemotherapie auch zu einer Steigerung der Heilungsraten nach
chirurgischer Resektion bei lokal begrenzter Erkrankung führen
könnte.
37.8.1 Postoperative adjuvante Therapieverfahren
Bis heute ist der Stellenwert einer postoperativen Zusatztherapie
nicht gesichert. Ein wesentlicher Grund für die widersprüchlichen
Behandlungsergebnisse ist die Tatsache, dass in vielen Studien
Patienten mit kompletten und inkompletten Resektionen
eingeschlossen worden sind; die Behandlungsergebnisse wurden
nicht getrennt analysiert. Die korrekte Definition einer postoperativen
adjuvanten Therapie trifft jedoch nur nach R0-Resektion
zu.
⊡ Tabelle 37.14. Stadienspezifisches Überleben nach Gastrektomie. (Daten der German Gastric Cancer Study, des Patient Care Report der
American Surgical Society und des National Cancer Center Tokyo)
UICC-Stadium Medianes Überleben
(Monate)
Kumulative 5-Jahres-Überlebensrate
USA
(n=6525)
Deutschland
(n=1654)
Japan
(n=1679)
USA
(n=6525)
Deutschland
(n=1654)
Japan
(n=1679)
Ia – – – 60 85 96
IB 48 – – 45 70 94
II 23 36 – 28 45 87
IIIA 15 19 – 15 30 60
IIIB 13 12 48 10 18 40
IV 9 9 12 5 10 10
37.8 · Neoadjuvante Therapie bzw. adjuvante und palliative Therapieprinzipien
472 Kapitel 37 · Magenkarzinom
37
Erwogen wird die postoperative Therapie in erster Linie bei
Patienten mit lokal fortgeschrittenen Primärtumoren (pT3 und
pT4). Darüber hinaus sind auch Patienten der Primärtumorkategorie
pT2 in Arealen ohne Serosa (pT2b-Kategorie) für eine Zusatzbehandlung
im Rahmen von Studien geeignet, da sie eine den
Patienten mit pT3-Tumoren vergleichbar schlechte Prognose
haben. Lymphknotenmetastasen sind ein Indikator für ein erheblich
erhöhtes Rezidivrisiko, besonders wenn der Quotient
aus befallenen und resezierten LK über 0,2 (entsprechend 20%)
liegt.
37.8.2 Adjuvante Chemotherapie
In einer jüngst publizierten Metaanalyse über 21 Studien zum
Stellenwert einer adjuvanten systemischen Therapie des Magenkarzinoms
zeigte sich ein Überlebensvorteil für behandelte Patienten.
Wie in anderen Analysen zeigte sich dieser allerdings
beschränkt auf asiatische Studien. Die Autoren der Metaanalyse
schlussfolgern deshalb, dass eine adjuvante Chemotherapie nicht
als Routine außerhalb klinischer Studien empfohlen werden kann
(Hermans et al. 1993; Janunger et al. 2002). Zwei andere Metaanalysen,
die in der westlichen Welt durchgeführt wurden, zeigten
geringe, wenngleich signifikante Vorteile für adjuvante Chemotherapie
(Earle et al. 1999; Mari et al. 2000). Bekanntermaßen
sollten aus Metaanalysen aufgrund der immanenten methodischen
Probleme wie Publikationsbias, heterogenes Patientenkollektiv,
Heterogenität der Behandlungsmethoden, uneinheitliche
Einschlusskriterien etc. keine allgemeingültigen Therapieempfehlungen
abgeleitet werden. Interessanterweise zeigte sich in
einer Subgruppenanalyse einer randomisierten italienischen
Multicenterstudie für Patienten mit regionaler Lymphknotenmetastasierung
(>6 befallene LK) ein klinisch bedeutsamer Vorteil
(5-Jahres-Überleben 42 vs. 22%) für eine adjuvante Chemotherapie
(Bajetta et al. 2002). Diese Subgruppenanalyse allein rechtfertigt
allerdings ebenfalls nicht den routinemäßigen Einsatz adjuvanter
Chemotherapie außerhalb klinischer Studien.
In einer randomisierten japanischen Studie zur adjuvanten
Chemotherapie bei Serosa-negativen Magenkarzinomen (außer
T1, N0) fand sich kein Überlebensvorteil durch postoperative
Therapie (Nashimoto et al. 2003).
Eine mögliche Erklärung für die unbefriedigenden Behandlungsergebnissen
ist der Einsatz von nach heutiger Ansicht wenig
wirksamen Zytostatikakombinationen. Studien mit neueren
effektiven Therapieregimes sind deshalb weiterhin indiziert.
Aller dings erscheint eine postoperative Chemotherapie mit aggres
siven Zytostatikakombinationen wegen des erhöhten Toxizitäts
risikos in der frühen postoperativen Phase problematisch.
Post operativ wurde über eine signifikant gesteigerte Cisplatininduzierte
Nausea und Emesis trotz verbesserter antiemetischer
Therapie berichtet, was den Einsatz von Kombinationen, die
Cisplatin enthalten, in der adjuvanten Therapie möglicherweise
limitiert (Louvet et al. 1998). ⊡ Tabelle 37.15 zeigt eine Zusammenfassung
der derzeit gebräuchlichsten Therapieregimes.
37.8.3 Adjuvante Radio-/Chemo/Therapie
Seit der Vorstellung der Multicenterstudie der Intergroup/SWOG
(Southwest Oncology Group) wird die Bedeutung der adjuvanten
Therapie beim Magenkarzinom erneut diskutiert. Die Autoren
dieser Studie berichteten über eine adjuvante kombinierte Ra -
dio-/Chemo-Therapie (1 Zyklus Chemotherapie mit 5-FU/Leucovorin
gefolgt von Leucovorin und 5-FU an den Tagen 1–4 und
an den 3 letzten Tage einer perkutanen Radiatio bis 45 Gy, 1,8 Gy/
d) gefolgt von Chemotherapie (2 Zyklen LV/5-FU) randomisiert
gegenüber alleiniger Chirurgie bei einem großen Studienkollektiv
(n=550; MacDonald et al. 2001). Es ergab sich ein Überle bensvorteil
nach 3 Jahren von absolut 9% (41% vs. 50%; »hazard ratio«
für die Gruppe mit alleiniger Resektion 1,38; 95%-Konfidenzintervall
1,09–1,66, p=0,005). Das rezidivfreie Überleben nach drei
Jahren lag bei 31% nach alleiniger Chirurgie und bei 48% nach
Radio-Chemo-Therapie (RCTx). Die postoperative Radio-Chemo-
Therapie war mit einer hohen Rate an ausgeprägten hämatologischen
und nichthämatologischen, v. a. gastrointestinalen
Nebenwirkungen assoziiert. Die toxische Todesrate unter adjuvanter
RCTx lag bei 1%. Die Autoren der Studie folgern, dass die
adjuvante RCTx nunmehr den Standard in der adjuvanten Behandlung
in den Sta dien II–IIIb des Magenkarzinoms darstellt.
Bei einer von J.S. Mac Donald beim ASCO GI Meeting 2004
vorgestellten Subgruppenanayse fand sich jedoch weder ein Vorteil
der Therapie bei diffusen Karzinomen noch ein Vorteil nach
D2-LA.
Eine entscheidende Einschränkung erfährt die Studie dadurch,
dass die Resektion nur nach »curative intent« beurteilt
wurde (ohne Angabe eines R-Status) und eine genaue histopathologische
Aufarbeitung fehlt. Nur 10% der Patienten wurden erweitert
lymphadenektomiert; die meisten (54%) wurden nicht
oder nur eingeschränkt (<D1-LA) lymphadenektomiert. Es ist
daher fraglich, ob eine adjuvante Radio-/Chemo-Therapie auch
bei einem Patientenkollektiv nach adäquat durchgeführter Magenresektion
mit D2-LA Vorteile zeigt. Die Überlebensdaten der
Studie nach adjuvanten Therapie sind identisch denen nach alleiniger
Chirurgie in der deutschen Magenkarzinomstudie.
37.8.4 Intraoperative Strahlentherapie
Nach einer in Japan durchgeführten – methodisch sehr umstrittenen
– Studie brachte eine intraoperative Strahlentherapie
in den Stadien II und III verglichen mit alleiniger Operation
⊡ Tabelle 37.15. Therapieschemata beim Magenkarzinom
ECF (Findlay et al. 1994)
[mg/m2]
4-Epidoxorubicin
50 i.v. Tag 1 (alle 3 Wochen × 6–8)
Cisplatin 60 i.v. Tag 1 (alle 3 Wochen × 6–8)
5-Fluorouracil 200 i.v. Tag 1 (21 Wochen)
PLF (Wilke et al. 1996)
Cisplatin 50 i.v. Tag 1, 15, 29
Folinsäure 500 i.v. Tag 1, 8, 15, 22, 29, 36
5-Fluorouracil 2000 i.v. Tag 1, 8, 15, 22, 29, 36
Wiederholung Tag 50
473 37
eine Steigerung der 5-Jahres-Überlebensrate (Abe et al. 1988).
Die Methode war im Stadium IV ineffektiv (Calvo et al. 1992).
Die Überlegenheit der intraoperativen Strahlentherapie (IORT)
konnte jedoch in einer Phase-III-Studie, die am National Cancer
Institute in den USA durchgeführt wurde, nicht bestätigt werden
(Sindelar u. Kinsella 1998). Allerdings wurden dabei nur die
Möglichkeiten einer perkutanen Strahlentherapie gegenüber der
IORT vergleichend geprüft, ohne den Kontrollarm einer alleinigen
Chirurgie.
Verschiedene Phase-II- und -III-Studien weisen auf eine Senkung
der Lokalrezidivrate durch eine zusätzliche IORT hin, sie
geht jedoch nicht mit einer signifikanten Verbesserung der Überlebenszeiten
einher (Avizonis et al. 1995; Calvo et al. 1992). Daher
besteht für den Einsatz der IORT außerhalb von Studien gegenwärtig
keine Indikation.
37.8.5 Postoperative, intraperitoneale Therapie
Verschiedene Untersucher aus Japan und neuerdings auch in den
westlichen Ländern haben überwiegend in Phase-II-Studien und
wenigen kontrollierten Phase-III-Studien die Möglichkeiten einer
intraperitonealen Chemotherapie, vorzugsweise mit Mitomycin
C, FUDR, 5-FU bzw. Cisplatin in der postoperativen Phase
geprüft (Roth 2003). Die Ergebnisse sind schwer interpretierbar,
da in verschiedenen Prüfungen auch Patienten mit klinisch
manifester Peritonealkarzinose eingeschlossen waren.
Hagiwara et al. berichteten über die Ergebnisse einer randomisierten
Phase-III-Studie mit intraperitoneal verabreichten
Mitomycin C nach R0-Resektion bei Hochrisikopatienten (Hagiwara
et al. 1992). Dabei wurde am Ende der Operation Mitomycin
C an Aktivkohle absorbiert infundiert. Bei Patienten mit
Serosabefall ergab sich ein hochsignifikanter Unterschied zugunsten
einer intraperitonealen Chemotherapie (2-Jahres-Überlebensraten
68,6 vs. 26,9% bei alleiniger Operation). Diese bemerkenswerten
Ergebnisse konnten in einer deutschen Untersuchung
nur bedingt reproduziert werden. Nach R0-Resektion
lebten mit Mitomycin C behandelte Patienten 36 Monate median
gegenüber 24 Monate ohne Zusatzbehandlung. Allerdings führte
die intraperitoneale Installation von Mitomycin C zu einer signifikanten
Steigerung von intraabdominellen Abszessen und Reoperationen.
Bei bestehender Peritonealkarzinose erwies sich
eine Behandlung mit an Aktivkohle absorbierten Mitomycin C
unwirksam (Faß et al. 1998).
Die bisher größte intraperitoneal therapierte Gruppe von Patienten
zeigt, verglichen mit Chirurgie allein, eine deutliche Steigerung
des 5-Jahresüberlebens (54 vs. 38%; Yu et al. 2001). Nur
die Gruppe um Sugarbaker berichtet von keinerlei erhöhter Morbidität
und Letalität nach der intraperitonealen Therapie. Sie ist
vergleichsweise aufwändig (offene intraperitoneale Hyperthermie
mit Mitomycin C und 5-FU).
Zusammenfassend ergibt sich für Patienten nach kurativer
Gastrektomie keine regelhafte Indikation zur intraperitonealen
Chemotherapie. Ob für Subkollektive, z. B. Patienten mit zytologisch
positiver Peritoneallavage, eine intraperitoneale Chemotherapie
oder Therapie mit antitumoral wirksamen Antikörpern
eine Verbesserung des Überlebens oder des rezidivfreien Überlebens
bringt, sollte in Studien weiter überprüft werden.
37.8.6 Präoperative neoadjuvante Chemotherapie
Systematische Untersuchungen zur Effektivität von Kombinationschemotherapien
zeigten eine stadienabhängige Wirkung.
Patienten mit lokal fortgeschrittenen Primärtumoren sprechen
signifikant besser auf die Chemotherapie an als Patienten mit
Fernmetastasen (Wilke et al. 1990). In Einzelfällen konnte nach
besonders gutem Ansprechen auf eine primäre Chemotherapie
eine komplette Tumorresektion durchgeführt werden. Diese Beobachtungen
gaben Anlass, das Konzept einer primären »neoadjuvanten
« Chemotherapie mit nachfolgender Resektion prospektiv
zu prüfen.
Für eine primäre Chemotherapie ergeben sich verschiedene
theoretische und klinische Vorteile. Dazu gehören:
▬ die noch intakten Blut- und Lymphwege, welche die Zufuhr
der Zytostatika in zytotoxischen Konzentrationen in die Problemareale
ermöglichen,
▬ ein verglichen mit dem postoperativen Zustand besserer Allgemeinzustand,
der die Anwendung aggressiver, insbesondere
cisplatinhaltiger Kombinationen erlaubt,
▬ bei Ansprechen des Primärtumors (Downsizing) eine Zunahme
des Anteils an R0-Resektionen,
▬ eine Verminderung der Verschleppung vitaler Tumorzellen
in der Bauchhöhle während der Operation und
▬ eine frühzeitige systemische Wirkung auf klinisch okkulte
Mikrometastasen.
Eine zusammenfassende Beurteilung der ca. 20 Phase-II-Studien
ergibt keine Gefährdung der Patienten durch die neoadjuvante
Therapie. Die primäre Chemotherapie führte weder zu einer
Zunahme an therapiebedingten Todesfällen noch zu einem Verlust
der Resektabilität. Im Gegensatz zur kombinierten Radio-
Chemo-Therapie (z. B. beim Ösophaguskarzinom) wurde trotz
ausgedehnten Resektionen keine gesteigerte postoperative Morbidität
und Letalität beobachtet. Allerdings erwies sich die
Durchführung einer frühen postoperativen adjuvanten Chemotherapie,
insbesondere bei gleichzeitiger intraperitonealer und
intravenöser Verabreichung infolge einer erheblich erhöhten
Toxizität als problematisch (Kelsen et al. 1996; Leichman et al.
1992).
Entscheidend für die richtige Indikationsstellung zur neoadjuvanten
Chemotherapie ist ein ausgedehntes präoperatives Staging
einschließlich EUS und Laparoskopie. Die Patienten müssen
zur Therapieentscheidung gemeinsam (Tumorboard) von dem
behandelnden Chirurgen, Onkologen und Radiologen beurteilt
werden. Grundvoraussetzung der Therapie ist ein Karnofsky-Index
>70 und eine ausreichende Bereitschaft des Patienten, die
aufwändige und lange dauernde multimodale Therapie mitzutragen.
Bei entsprechender Information und Führung des Patienten
ist der letzte Punkt heutzutage allerdings selten ein Hinderungsgrund
für eine neoadjuvante Therapie.
Der entscheidende Grund, weshalb der Stellenwert der neoadjuvanten
Chemotherapie trotz zahlreicher erfolgversprechender
Veröffentlichungen derzeit noch nicht vollständig gesichert
ist, ist in erster Linie auf den Einschluss von Patienten mit sehr
unterschiedlich ausgedehnten Tumorstadien zurückzuführen.
Grund sätzlich müs sen dabei folgenden prognostisch sehr unterschiedlichen
Patientenkollektive unterschieden werden:
▬ Patienten mit potenziell resektablen Krankheitsstadien,
▬ mit lokal fortgeschrittenen, nicht sicher komplett resezierbaren
Tumoren und
37.8 · Neoadjuvante Therapie bzw. adjuvante und palliative Therapieprinzipien
474 Kapitel 37 · Magenkarzinom
37
▬ Patienten, bei denen anlässlich einer Laparotomie aufgrund
der lokalen Tumorausdehnung eine komplette Resektion
nicht möglich erschien.
Bisher erschien eine Verbesserung der Prognose durch eine multimodale
Therapie nur für Patienten mit primär nicht kurativ
resektablen Tumoren gesichert, bei denen mit Hilfe einer wirksamen
Chemotherapie zunächst eine klinisch relevante Tumorregression
induziert wurde. Wilke et al. (1989), in der Folgezeit
auch weitere Arbeitsgruppen berichteten, dass annähernd 40–
50% der Karzinome, die bei der Laparotomie irresektabel erschienen,
nach Ansprechen auf die Chemotherapie komplett reseziert
werden konnten (Plukker et al. 1991; Rosen et al. 1995). Die
Überlebenszeiten betrugen 16 Monate, im Falle einer R0-Resektion
24 Monate mit einem Anteil von bis zu 20% 5-Jahres-Überlebenden.
Mehr als 75% der Rezidive traten entweder lokoregional
oder innerhalb der Bauchhöhle auf. Die Chemotherapie hatte
keinen Einfluss auf eine bereits bei der diagnostischen Laparotomie
nachgewiesene bestehende Peritonealkarzinose (Rosen et al.
1995).
Alle neoadjuvanten Therapien zeigen, dass Patienten, die auf
die Therapie ansprechen (ca. 30%), ein signifikant verbessertes
Überleben aufwiesen (Lowy et al. 1999). Das Ansprechen auf eine
neoadjuvante Chemotherapie kann damit als wichtiger positiver
Prognosefaktor angesehen werden. Die ⊡ Tabelle 37.16 fasst die
wichtigsten Phase-II-Studien zur neoadjuvanten Therapie des
Magenkarzinoms zusammen (Alexander et al. 1995; Facchini
et al. 1995; Kang et al. 1996; Rougier et al. 1994).
In zwei eigenen Studien war nach der Vorbehandlung von
lokal fortgeschrittenen Primärtumoren (T3 und T4) bei 80 bzw.
76% eine komplette Resektion möglich, wobei kein postoperativer
Todesfall auftrat. Wie auch in anderen angeführten Untersuchungen
führte die Chemotherapie zu keiner histopathologisch
kompletten Tumorrückbildung, häufig bestand noch immer eine
Lymphangiosis carcinomatosa. Rezidive traten vorzugsweise extraluminal
im Bereich des ehemaligen Tumorbetts, im Peritoneum
und bei primär ausgedehnter Lymphknotenmetastasierung
im Bereich nicht resezierter retroperitoneal gelegener LK
(M1lymph) auf (Fink et al. 1995; Ott et al. 2003b).
1994 wurde in Großbritannien die MAGIC-Studie initiiert. In
dieser randomisierten Phase-III-Studie wurde eine kombinierte
prä- und postoperative Chemotherapie [Epirubicin, Cisplatin, 5-
FU (ECF)] mit der alleinigen Chirurgie verglichen. Nach Rekrutierungsende
im Jahre 2002 wurden 2003 die ersten Ergebnisse
veröffentlicht (Allum et al. 2003). Eingeschlossen wurden 503 Patienten
mit Stadium-II- und -III-Adenokarzinom des distalen
Ösophagus (11%), der Kardia (15%) und des Magens (74%). 250
Patienten wurden in den Arm perioperative Chemotherapie randomisiert,
227 erhielten die präoperative, nur 133 die postoperative
Chemotherapie. Obwohl die Daten für eine Überlebensanalyse
noch zu jung sind, zeichnen sich Vorteile für die Chemotherapiegruppe
ab. So wurden im histopathologischen Staging bei
Patienten mit Magenkarzinomen signifikant mehr T1/T2-Tumoren
diagnostiziert als in der Chirurgiegruppe (54 vs. 35%). Das
progressionsfreie Intervall war in der multimodal therapierten
Gruppen signifikant verlängert (p=0,002). Auch war die Rate
kompletter Resektionen in der Chemotherapiegruppe höher. Aus
dem Kongress der ASCO 2005 (Cunningham et al. 2005) wurden
die Überlebensdaten der Studie erstmals vorgestellt. Das 5-Jahresüberleben
war in der Chemotherapiegruppe mit 36% gegenüber
23% nach alleiniger Chirurgie signifikant (p = 0.009) verlängert,
ebenso das progressionsfreie Überleben (p < 0.001).
Damit zeigt die erste randomisierte, kontrollierte Phase III
Studie zur neoadjuvanten Chemotherapie beim Magenkarzinom,
die nach 8-jähriger Rekrutierung erfolgreich mit einem großen
Kollektiv (n = 503) abgeschlossen werden konnte, deutliche Vorteile
für das Überleben der Patienten. Vor der endgültigen Publikation
der Studie ist es sicher noch verfrüht von einem neuen
Standard in der Therapie des lokal fortgeschrittenen Magenkarzinoms
zu sprechen, doch deutet sich dies zunehmend an.
Eine Optimierung der Indikation zur neoadjuvanten Therapie
könnte die frühe Beurteilung des Ansprechens der Chemotherapie
2 Wochen nach Therapiebeginn durch die FDG-PET
bedeuten. In einer eigenen Studie konnten 80% der Magenkarzinome
vor der Therapie mit der PET dargestellt werden, das histopathologische
Ansprechen wurde bei 77% der Patienten korrekt
vorhergesagt, das Nicht-Ansprechen bei 86% (Ott et al.
2003a). Aus diesen Ergebnissen könnten sich für die Zukunft
⊡ Tabelle 37.16. Präoperative Chemotherapie beim lokal fortgeschrittenen Magenkarzinom
Autor Jahr Patienten
(n)
Staging Chemotherapie
Major
Response
[%]
R0
[%]
mÜLR
(Monate)
ÜLR
Rougier et al. 1994b 30 CT, ÖGD Cisplatin/5-FU 56 72 20% (4 Jahre)
Facchini et al. 1995 22 CT, ÖGD FAMTX 50 73
Alexander et al. 1995 21 CT, ÖGD 5-FU/FA/IFN 38 73 24
Kang et al. 1996 53 CT, ÖGD PEF 62 62 24
Kelsen et al. 1994 29 CT, ÖGD
EUS
FAMTX – 53 16 (67%)
Fink et al. 1995 30 CT, ÖGD
EUS, Laparoskopie
EAP 63 80 17 30% (2 Jahre)
Oh et al. 2003 49 CT, ÖGD
EUS, Laparoskopie
PLF – 76 25 38% (5 Jahre)
475 37
⊡ Tabelle 37.17. Chemotherapie in der palliativen Situation vs. Best supportive Care
Autor Jahr Patienten
(n)
Chemotherapie Medianes Überleben Quality of Life
Chemotherapie vs. Supportive Care
(Monate)
Pyrrhönen et al. 1995 41 5-Fluorouracil
Epidoxorubicin
Methotrexat
12 vs. 3 (p<0,01) –
Murad et al. 1993 40 5-Fluorouracil
Adriamycin
Methotrexat
10 vs. 3 –
Glimelius et al. 1995 18 Etoposide
Leucovorin
5-Fluorouracil
10 vs. 4 (p<0,02) Besser mit Chemotherapie
Scheithauer et al. 1995 38 Epirubicin
Leucovorin
5-Fluorouracil
7 vs. 4 (p<0,05) Besser mit Chemotherapie
weitere Schritte in Richtung Individualisierung der Therapie des
Magenkarzinoms entwickeln (Lordick et al. 2004b).
Trotz aller positiven Ergebnisse der letzten Jahre gilt die neoadjuvante
Therapie beim Magenkarzinom bis heute als experimentelles
Verfahren und sollte bei Patienten mir resektablen
Tumoren im Rahmen prospektiver klinischer Studien durchgeführt
werden. Bei primärer Irresektabilität bei lokal fortgeschrittener
Erkrankung ist heute eine primäre Chemotherapie indiziert;
bei Patienten mit guter Remission ist der sollte eine sekundäre
Resektion angestrebt werden.
37.8.7 Palliative Chemotherapie
In den letzten Jahren ist hinsichtlich der Indikation einer Chemotherapie
beim fortgeschrittenen Magenkarzinom ein Wandel
eingetreten.
Eine systemische Chemotherapie in palliativer Intention gilt
sowohl mit Blick auf die Verlängerung der Überlebenszeit als
auch der Lebensqualität als indiziert. Generell sollte eine systemische
Chemotherapie nicht erst dann eingeleitet werden, wenn
bereits schwerwiegende Symptome der metastasierten Erkrankung
bestehen, da sonst eines der Ziele einer Chemotherapie,
nämlich das Auftreten tumorbedingter Beschwerden mindestens
zu verzögern, in der Regel nicht mehr erreicht werden kann. Ein
eingeschränkter Allgemeinzustand (Karnofsky-Index <70%) gilt
zurecht weiterhin als Kontraindikation gegen eine systemische
Chemotherapie.
Die Wahl der Zytostatikakombination folgt derzeit individuellen
Gesichtspunkten zur Toxizität und auch regionalen Gepflogenheiten.
Eine eindeutig zu bevorzugende Kombination gibt
es derzeit nicht. In der Regel wird auf der Basis von Cisplatin und
5-FU(Fluorouracil) enthaltenden Protokollen therapiert (⊡ Tabelle
37.17). Besonders aussichtsreich mit Blick auf die therapeutische
Effektivität ist nach neueren Studienergebnissen die Kombination
Docetaxel-Cisplatin-5-FU (Ajani et al. 2003). Weitere
neuere Substanzen mit nachgewiesener Wirksamkeit sind Oxaliplatin
und Irinotecan. Der Stellenwert weiterer Therapielinien
nach Versagen einer First-line-Therapie gilt zwar wissenschaftlich
noch nicht als gesichert, zeichnet sich aber aus ersten Studienergebnissen
ab (Lordick 2004a).
37.9 Empfehlungen zur Nachsorge
Zur Planung einer patienten- und kostengerechten Nachsorge
müssen die Metastasierungsmuster nach R0-Resektion bekannt
sein. Nur in diesem Fall ist von einem Rezidiv zu sprechen, nach
R1- oder R2-Resektion findet sich dagegen ein fortgesetztes Tumorwachstum.
Lokoregionäre Rezidive sind nach dieser Definition an drei
Stellen möglich:
▬ intraluminal
im Bereich der Anastomose, meist als Folge eines unzureichenden
luminalen Resektionsausmaßes im Hinblick auf den
oralen und aboralen Resektionsrand,
▬ extraluminal
bei unzureichender Tumorfreiheit im Bereich des Tumorbettes
(sog. dritte Dimension; unzureichende Radikalität ist hier
oft anatomisch bedingt, z. B. im Bereich des Truncus coeliacus
oder des Lig. hepatoduodenale) und
▬ im Bereich des Lymphabflussgebietes.
Die Verminderung dieser Rezidive ist eine wichtige Indikation
für eine adäquate Lymphknotendissektion. Lokoregionäre Rezidive
(LR) sind nach adäquater Resektion eher selten geworden.
Die in diesem Zusammenhang noch häufig zitierte Arbeit von
Gunderson u. Sosin (1982) mit einer Lokalrezidivquote von
53,7% betrachtet ein Patientenkollektiv von 1949–1972, ein Zeitraum,
in dem praktisch nicht oder nur unzureichend lymphadenektomiert
wurde. Heute ist es möglich, deutlich weniger als
10% lokoregionäre Rezidive nach R0-Resektion zu erreichen. Die
Analyse des eigenen Krankengutes ergab eine Häufigkeit des alleinigen
LR von 7,8% (Siewert et al. 1995b). Die meisten Rezidive
bildeten sich im Bereich des Truncus coeliacus, d. h. im Lymphabflussgebiet.
Hier ist auch eine Grenze der D2-LA. Eine japanische
Rezidivanalyse nach Gastrektomie und LA (D2) von 1117
Patienten ergab Lokalrezidive in 4,5% (Maehara et al. 1996).
37.9 · Empfehlungen zur Nachsorge
476 Kapitel 37 · Magenkarzinom
37
Das intraluminale Rezidiv stellt im Prinzip eine noch prognostisch
relativ günstige Form dar. Tritt es am oralen Resektionsrand
auf, kann eine Reoperation versucht werden. Das extraluminale
Rezidiv im Lymphabflussgebiet oder in Form der Peritonealkarzinose
ist der erneuten Operation nach adäquater
primärer Therapie nicht mehr zugänglich.
Nach den Daten der deutschen Magenkarzinomstudie überleben
nach R0-Resektion und D2-LA nur 36,1% des Gesamtkollektivs
10 Jahre (Siewert et al. 1998). Die Patienten versterben
nach hämatogener und/oder lymphogener Metastasierung. Das
Metastasierungsmuster richtet sich zum einem nach der Laurén-
Klassifikation des Primärtumors; intestinale Karzinome metastasieren
primär v. a. in Leber und Lunge, diffuse in das Peritoneum
(Weiss et al. 1993). Weitere Orte der hämatogenen Metastasierung
sind das Skelett und – selten – das Gehirn. Lymphogene
Rezidive finden sich im Bereich des Truncus coeliacus ( s. oben),
retroperitoneal und oft im Mediastinum.
Ungünstige Prognosefaktoren für das Auftreten eines Rezidivs
nach R0-Resektion sind nach univariater Analyse eine
fortgeschrittene Tumorinfiltration mit Serosaperforation (pT3),
Lymph- oder Gefäßinvasion des Primärtumors, Größe des Primärtumors
und der fortgeschrittene Lymphknotenbefall (pN2;
Maehara et al. 1996). Die therapeutischen Optionen sind im Falle
des Rezidivs begrenzt, und betreffen vor allen Dingen die Chemotherapie
und in sehr seltenen Fällen die Strahlentherapie.
Aus dem Vorangegangenen wird deutlich, dass sich die Nachsorge
von Magenkarzinompatienten primär an deren klinischen
Beschwerdebild orientieren muss. Regelmäßige, technische aufwändige
und belastende Untersuchungen sind nur bei konkreten
Rezidivverdacht zu rechtfertigen, zumal die therapeutischen
Möglichkeiten eingeschränkt sind. Die Kontrolle der Tumormarker
(CEA, CA 72-4) sollte nur bei positiven Werten zum Zeitpunkt
der Diagnose durchgeführt werden. Erfahrungsgemäß
geht der Wiederanstieg eines Tumormarkers der Diagnose des
Rezidivs ca. 3 Monate voraus. ⊡ Abb. 37.21 gibt zur Nachsorge die
Empfehlungen der Bayerischen Landesärztekammer (Stand November
2003) wieder. Die Nachsorge verlängert das Überleben
der operierten Patienten nicht (Kodera et al. 2003). Sie bleibt aber
zur Qualitätssicherung der chirurgischen Versorgung ein wesentliches
Instrument und sollte deshalb wann immer möglich dort
stattfinden, wo der Patient operiert wurde.
37.10 Ausblick
Wenn man die Therapieforschung der letzten Jahre analysiert,
sind folgende Fortschritte zu nennen:
Ein wesentlich verbessertes Staging durch Einführung neuer
diagnostischer Verfahren (endoluminaler Ultraschall, diagnostische
Laparoskopie, verbesserte CT-Techniken, Nachweis von
freien Tumorzellen in der Abdominallavage) hat eine sehr viel
individuellere, in Einzelfällen geradezu maßgeschneiderte Therapie
ermöglicht. Es ist klar geworden, wann radikale Chirurgie
für den Patienten einen Vorteil bringt und wann nicht. Es gibt
gute Hinweise, wann eine neoadjuvante präoperative Chemotherapie
effektiv sein könnte, und es konnte aufgezeigt werden, dass
der Stellenwert postoperativer, adjuvant eingesetzter therapeutischer
Prinzipien immer noch nicht ausreichend gesichert ist.
Die Analyse neuer unabhängiger Prognosefaktoren hat die
Bedeutung der chirurgischen Radikalität bei der Operation des
Magenkarzinoms aufgezeigt. Es ist eindeutig belegt, dass die Residualtumorfreiheit
der entscheidende, unabhängige Prognosefaktor
in der chirurgischen Therapie ist. Die lokale Tumorfreiheit
hat sich nicht nur auf den oralen und aboralen Resektionsrand,
sondern vor allen Dingen auch auf das Tumorbett zu erstrecken.
Diese Aussage der Notwendigkeit der lokalen Tumorfreiheit bezieht
sich auch auf die Lymphabflusswege. Es ist deutlich geworden,
dass nicht nur der Primärtumor, sonder auch die tumorbefallenen
LK mit einem großen Sicherheitsabstand entfernt
werden müssen.
Das Magenkarzinom ist im Prinzip chemotherapiesensibel.
Damit hat die multimodale Therapie eine neue Bedeutung erlangt.
Besonders wichtig ist die Erkenntnis, dass die Chemotherapie in
erster Linie am nicht voroperierten und nicht vorbehandelten Tumor
wirksam werden kann. Dies hat das therapeutische Prinzip
der neoadjuvanten Chemotherapie in den Vordergrund gerückt.
In vielen Phase-II-Studien und einer Phase-III-Studie wurde die
Effektivität der neoadjuvanten Therapie belegt. Das Ansprechen
auf eine neoadjuvante Therapie ist ein eigenständiger, positiver
Prognosefaktor.
Aus dem Gesagten ergeben sich die in der klinischen Therapieforschung
zu lösenden Aufgaben der nächsten Jahre:
Die Gesamtprognose des Magenkarzinoms kann nur durch
eine Intensivierung der Frühdiagnostik verbessert werden. Hier
sind die japanischen Zahlen unverändert Vorbild. Screeninguntersuchungen
werden in der westlichen Hemisphäre unter dem
Cost/Benefit-Aspekt auch in Zukunft nicht indiziert sein. Als
mögliche Alternative sollte die sog. »open access endoscopy« erprobt
werden.
Jahr
Alle anderen Untersuchungen
mit bildgebenden
Verfahren
(auch Sonographie)
sowie Labor (auch
Tumormarker wie
CEA, Ca 72- 4)
Monat
Anamnese
Informationsgespräch
Klinische Untersuchung
Endoskopie
1
3 6 9 12
2
15 18 21 24
3
27 30 33 36
4
42 48 54 60
5
Nur gezielt bei einer durch das Beschwerdebild oder
anamnestische Hinweise gesicherten Indikation
⊡ Abb. 37.21. Empfehlungen zur
Nachsorge beim Magenkarzinom
477 37
Die bislang vorliegenden Daten zur neoadjuvanten Chemotherapie
zeigen, dass nur etwa 60% der behandelten Patienten auf
diese Therapie ansprechen. Es wird eine Aufgabe der nahen Zukunft
sein, Prognosefaktoren zu erarbeiten, die das Response-
Verhalten des Patienten vorhersagen helfen: Neoadjuvante Therapieprinzipien
könnten dann auf eine entsprechend definierte
Subgruppe konzentriert werden.
Das Problem der Response Evaluation nach neoadjuvanter
Therapie scheint einer Lösung nahe zu sein. In allen zur Verfügung
stehenden diagnostischen Verfahren kann zwischen Narbe
und Residualtumor nicht unterschieden werden. Mit Hilfe der
FDG-PET könnte frühzeitig ein Response auf die Therapie gesichert
werden.
Nach den bislang vorliegenden Untersuchungen bringt die
adjuvante Chemotherapie nach Resektion eines Magenkarzinoms
nur Vorteile für nicht adäquat resezierte Patienten. Damit
ist sicher, dass Subgruppen von einer adjuvanten Therapie profitieren
können. Aus theoretischer Sicht müsste nach relativer R0-
Resektion, d. h. bei nur knappen Sicherheitsabständen und einer
Lymphknoten-Ratio >20%, durchaus eine Indikation für eine adjuvante
(Radio-)Chemo-Therapie gegeben sein. Allerdings hier
fehlen klinische Studien, die dies bei einer entsprechend gut definierten
Subgruppe belegen